Wow, ich hatte noch nie einen Thread, wo ich echt dachte, den muss ich muten, damit ich ihn nie wieder sehe. Nicht, weil er schlecht wäre, sondern weil die Trigger-Gefahr für mich extrem hoch ist. Denn ja: Für mich war die Zivildienstzeit eine echte Katastrophe, die mich heute noch belastet - und nach der ich nicht verstehe, wie man auch nur irgendwie fordern kann, Tauglichkeitsgrenzen zu senken oder überhaupt noch für so einen Dienst zu sein, wenn er zu sowas führen kann.
Allein die Existenz des Threads hat mich gestern schon getriggert, ich hab mich dann aber doch entschlossen, ein wenig aus dem Nähkästchen zu plaudern. Nur „dagegen“ sein bringt nichts - man muss auch ein wenig sagen können, warum. Auch wenn mich das belastet - ich traue der Community einfach zu, hier so offen sein zu können und man darauf Rücksicht nimmt, dass das ganze Thema für mich 25 Jahre später noch immer höchst belastend ist.
Ich bin ein halbes Jahr nach der Matura, im Februar 2000 zum Zivildienst eingerückt. Davor durfte ich ein halbes Jahr das machen, auf das ich mich echt gefreut habe: Endlich auf die Uni gehen. Ich hab das Leben dort genossen, die Freiheit, das Leben in Wien. Neue Bekanntschaften, die ich dort schließen konnte. Und ich war und bin jemand, der sich gern mit neuen Sachen beschäftigt, etwas lernt. Da wollte ich sein.
Wo ich nicht sein wollte: Im Zivildienst. Ich bin/war kein unsozialer Mensch, hab in meiner Schulzeit unter anderem in der Pfarrjugend und auch da schon im Theater in leitenden Funktionen Verantwortung übernommen. Für den Zivildienst war das leider keine Option (und Bundesheer war für mich aus zwei Gründen keine Option: Ich lehne Waffen ab und ich wollte als jemand, der zum kritischen Denken erzogen wurde, nicht in eine Situation kommen, wo mir jemand sagen darf „du machst das jetzt, weil ich es sage“, und ich nichts dagegen sagen kann. Mag ein Klischee sein, aber das ist halt mein Bild davon gewesen). Also Zivildienst. Ich wollte vom Gefühl her zur Rettung, mein Vater hat mir dann einen Posten in einer Reha in der Nähe organsiert, wo meine Tante gearbeitet hat. Überlegung: Da geht’s um Menschen, die gesund werden, weniger Notfälle, ein fixeres Team. Nachteil, wie sich rasch herausgestellt hat: Ich war der einzige Zivildiener dort.
Der Job war eigentlich ganz okay - ich hab die Leute in der Station betreut, zu diversen Diagnoseräumen, Ärzten begleitet, etc. Die Leute meist recht nett und dankbar. Trotzdem war mir nach kürzester Zeit klar: Das ist echt nichts für mich. Ich hab mich einfach unnötig gefühlt, als würde man alles, worin ich gut bin, ignorieren (ich hab Informatik studiert und war vorher im Informatik-Gymasium und durfte vom IT-Team aus („ich habe einen zweiwöchigen Kurs als Qualifikation!“) die Rechner nichtmal angreifen, obwohl ich bald den Ruf hatte, dass ich besser und schneller als die die Probleme lösen konnte), stattdessen musste ich mich zwischenmenschlich beweisen, was zugegebenermaßen nicht meine Stärke ist. Auch zum Team fand ich nicht so recht Zugang. Die waren alle freiwillig da und hatten sich für ihren Beruf entschieden, ich war als einziger gezwungen, hier zu sein. Ganz deutlich wurde das, als dann doch Leute gestorben sind - einmal sogar unmittelbar jemand, den ich zwei Stunden vorher noch aufs Zimmer bringen durfte, womit ich vermutlich der letzte war, der sie lebend gesehen hat. Alle machten irgendwie weiter und kamen damit klar. Ich hatte das Gefühl, ich brech zusammen, weil ich das nicht verarbeiten konnte. Und es gab halt niemanden, der auch in meiner Situation steckte.
Das Resultat: Ich war schon vorher nicht der psychisch gesündeste Jugendliche (was bei der Musterung sogar aufgefallen ist, aber irgendwie wurde da trotz Psychologen-Gespräch das dann einfach vom Tisch gewischt), aber ich war nach wenigen Wochen katastrophal depressiv. Ich hab mich zuhause ins Zimmer gesperrt und hatte regelmäßig Episoden, in denen ich in ein Loch gefallen bin und meine Eltern angeschrieen habe, dass ich das nicht mehr aushalte und wir doch bitte eine Lösung finden müssen, dass ich das nicht ein Jahr durchhalten muss (damals ging der Dienst ja noch ein Jahr lang). Dass das Verhältnis zu meinen Eltern (vor allem zu meinem Vater, der sich um meine Zukunft Sorgen machte, wenn ich aus irgendwelchen Gründen aussteige, und sowieso immer die Eintstellung hatte "da musst halt durch) bald schlechter wurde, war klar. Leider fiel auch mein soziales Umfeld zu dem Zeitpunkt durch den Dienst auseinander: Mein bester Freund war (zu recht) untauglich und in Wien auf der Uni, andere Freunde lebten ihr Leben weiter, das sich vor allem Abends/Nachts abspielte - nichts mehr für mich, der um halb sechs aus dem Bett musste, um rechtzeitig im Dienst zu sein. Ich war also auch so sehr isoliert.
Es kam leider wie es musste: Ich hab mich pflichtbewusst durchgekämpft, im Dienst fiel mein zunehmend schlechterer Zustand scheinbar keinem auf, und bin gleichzeitig immer mehr verfallen. Nach vier Monaten (und noch acht vor mir) wusste ich nicht mehr weiter und hab versucht, allem ein Ende zu setzen. Hat nicht geklappt (offensichtlich), hat mich aber endlich soweit gebracht, Hilfe zu suchen. Hab mich einer Ärztin anvertraut, die gemeint hat, sie hilft mir, da rauszukommen und mich in Therapie gebracht hat.
Leider war die Sache damit noch nicht vorbei, denn ich „durfte“ nicht aus dem Dienst, weil mein Vater die ganze Geschichte sehr persönlich nahm (weil ich ihm dann schon sehr deutlich entgegengeworfen habe, dass seine Haltung mit Schuld war, dass es fast mit mir vorbei gewesen wäre) und noch immer meinte, ich darf da nicht raus, das schädigt meine Zukunft. Ich bin also tatsächlich nach einem Krankenstand wieder zurück und habs noch ein Monat versucht. Dann waren meine Eltern auf Urlaub, ich bin übers Wochenende zu meiner Schwester gefahren, hab mich meinem Schwager (der Arzt ist) anvertraut. Und er hat mich sofort zu einem Psychologen gebracht, der mir nach dem Anhören meiner Geschichte sofort gesagt hat „raus da“. Und das hab ich auch durchgezogen. Zum Glück.
Fazit meines Diensts: Ja, ich hatte schon das Gefühl, etwas nützliches zu tun, aber die Art von Dienst, die man mir anbieten konnte, war für mich nicht nur unpassend, sondern sogar schädlich. Ich habe danach einige Jahre in Therapie verbracht, um das aufzuarbeiten - Therapie, die ich bzw. meine Eltern Großteils selbst bezahlen mussten. Der Knacks in meiner Familie war auch noch länger zu spüren. Und für mich wars auch danach nicht „zurück zu normal“, sondern sogar die Freude am Studium war weg - kein Wunder, dass ich erst NACH meiner Zeit bei consol mein Studium abgeschlossen habe. Und bis heute hab ich Albträume, in denen ich zurück muss. Und ich hab echt aufgeatmet, als ich offiziell „zu alt“ war, nochmal geholt zu werden. Heute würde es mir - mit einem stabileren sozialen Umfeld - wohl besser ergehen, aber trotzdem bleiben mir die Narben und die Trigger.
Es wundert wohl keinen, dass ich voll und ganz für eine Abschaffung der Wehrpflicht bin. Oder zumindest dafür, dass der Staat volle Verantwortung für die Konsequenzen übernehmen muss. Keine Teiltauglichkeit, vor allem bei psychischen Problemen (genau da sagt man ja "naja, dann ist man halt nicht für den Dienst mit der Waffe tauglich), sondern sogar strengere Kritierien; volle Entschädigung für alle negativen Folgen, die sich aus dem Dienst ergeben - wer mit einem Zwangsdienst für solche Dinge sorgt (und ich bin kein Einzelfall), sollte auch dafür Verantwortung übernehmen; engmaschige Kontrollen im Dienst durch unabhängige Ärzte/Psychologen, die jederzeit sagen können „raus da“. Grundsätzlich bin ich dafür, dass man der Gemeinschaft etwas zurückgibt, aber bitte jeder nach seinen Fähigkeiten. In der Pflegediskussion heißt es immer „dafür muss man gemacht sein“, aber offensichtlich reicht es beim Zivildienst, 18 Jahre alt zu sein. Und die Alternativen sind auch nicht für jeden. Und wenn ich heute daran denke, wozu es fast geführt hätte … nein danke.
Und noch ein Fazit: ich bewundere jeden, der einen Pflegeberuf ergreift. Das muss man können, das muss man schaffen. Ich weiß ganz genau: Ich kann es nicht. Ich finde, ein freiwiliiges Soziales Jahr wäre sinnvoll, bevor man zum Beispiel Arzt wird, aber jemanden, der mit Computern besser befreundet ist als Menschen dort reinzuzwängen, halte ich für falsch. Für manche ist es, ja, eine neue Erfahrung, die den Menschen verändert. Und für manche ist es eine neue Erfahrung, die für immer Narben hinterlässt. Und ja, das Argument, das dann gern kommt ist „in einem Job musst du da auch durch“. Und das seh ich nicht so. Bei einem Job suche ich mir etwas, das zu mir passt, und kündige, wenn es nicht passt. Das kann ich dort nicht.
Ich kann mir das nicht wünschen, weil die Vorstellung, dass meine Tochter einmal „muss“ mir echt heftige Magenschmerzen verursacht. Schon bei meinem Neffen (der genau in dieser Krise geboren wurde und für mich damals ein Lichtblick war, weil ich mich auf den Nachwuchs echt gefreut hatte) hatte ich da echte Sorgen, dass es ihn trifft wie mich. Zum Glück ging alles gut. Was ich aber aufgreifen möchte, ist, dass ich die Argumentation gegen den Dienst von Frauen, die gerne genannt werden, seltsam finde. Ich beführworte das Argument „Frauen haben sowieso schon so viele berufstechnische Nachteile, wenn die mal abgebaut sind, sollten wir über einen gleichberechtigten Dienst nachdenken“. Mit was ich nicht kann: „Frauen kriegen die Kinder, die brauchen nicht dienen“. Hab ich sogar schon von recht ranghohen Soldaten gehört. Erstens schaltet man da eine Möglichkeit („Frauen haben das Recht, Kinder zu bekommen“) mit einer Pflicht („Taugliche Männer müssen zum Wehrdienst/Wehrersatzdienst“) zusammen, was keinen Sinn ergibt (wir haben ja keine „Gebährpflicht“); zweitens gibt es Väter, die statt den Müttern in Karenz gehen oder es gleichberechtigt aufteilen. Ich war auch mehrere Monate in Karenz und übernehme jetzt (als von zuhause arbeitender Selbständiger) einen recht großen Anteil an der Kinderbetreuung - hab ich jetzt ein Anrecht darauf, meine Lebenszeit vom Innenministerium zurückzubekommen, weil ich mich auch um meine Tochter gekümmert habe?
Sorry für die Wall of Text, aber das musste jetzt raus. Mal sehen, ob ich den Thread danach doch noch muten muss, aber jetzt geht’s mir mal besser.