Für all jene, die beim letzten Eintrag über Labyrinth auf ein Adventure dieses Namens gehofft hatten statt auf einen simplen Irrgarten, habe ich eine gute Nachricht: In diesem „zweiten Teil“ zum Thema Labyrinth geht es um ein weiteres Spiel mit demselben Titel, allerdings dem Zusatz „The Computer Game“ – und damit zu einer Videospielumsetzung eines Films, der meine Kindheit geprägt hat. „Labyrinth“ - deutscher Titel „Die Reise ins Labyrinth“ – ist nicht nur ein Film, der mit den Puppen von Jim Henson, einem frühen Auftritt von Jennifer Connelly und vor allem David Bowies viel zu engen Hosen in die Popkultur einging, sondern auch ein Videospiel, das eine echte Ausnahme im Genre „Umsetzungen von Filmen“ darstellt. Hier lieferte Lucasfilm Games ein Spiel ab, das vielleicht aus heutiger Sicht reichlich altbacken ist, aber doch ein Genre nachhaltig mitdefiniert hat.
Eins vorweg: Labyrinth ist keine geradlinige Umsetzung, in der ihr wie im Film Sarah spielt, die zur Rettung ihres Halbbruders Toby in das namensgebende Labyrinth aufbricht, um binnen dreizehn Stunden dessen Mittelpunkt zu erreichen und dem Goblinkönig Jareth das Kind zu entreißen. Eher im Gegenteil: Das Spiel ist sich bewusst, dass es den Film gibt, er in Kinos läuft – und spielt trotzdem mit den Figuren, dem Setting und der Welt. Ihr seid ein ganz normaler Erdenbürger, der ins Kino geht, um sich Die Reise ins Labyrinth anzusehen. Kaum startet der Film, wählt euch Goblinkönig Jareth aus, bringt euch in sein Reich – und stellt euch die Aufgabe, binnen dreizehn (Echtzeit-)Stunden die Mitte des verrückten Irrgartens zu erreichen. Unterwegs trefft ihr eine Menge Gegenden, Figuren und Story-Ideen, die aus dem Film entsprungen sind.
Es war der ausdrückliche Wunsch von George Lucas (der den Film produzierte und auch an Schnitt und Drehbuch mitwirkte), ein Spiel zum Film zu designen – und wie bei vielen anderen Lucasfilm-Projekten gab er zwar den Anstoß, ließ den Entwicklern dann aber freie Hand, was sie mit der Marke tun wollen. Das Team unter David Fox (der später Zak McKracken und Indiana Jones and the Last Crusade abliefern sollte), entschied sich, ein Adventure aus dem Projekt zu machen. Das war wohl visionär, denn wer die Geschichte von Lucasfilm Games/LucasArts kennt, weiß, dass das Studio in den Folgejahren zahlreiche bahnbrechende Point’n’Click-Adventures abliefern würde – ob es diese ohne Labyrinth und das dortige Team, in dem sich später noch wichtige Namen wie Gary Winnick (Maniac Mansion) und Noah Falstein (Indiana Jones and the Fate of Atlantis) fanden, gegeben hätte, ist wohl fraglich.
Ein weiterer Name aus den Credits überrascht wohl viele: Per Anhalter durch die Galaxis-Autor Douglas Adams hatte seine Finger im Spiel. Angeblich begann seine Mitarbeit mit einer Party während der Dreharbeiten, zu der er eingeladen hatte; Jim Henson war gekommen, drückte dem Gastgeber eine große Platte geräucherten Lachs in die Hand und weigerte sich zu gehen, bevor Adams nicht „So long and thanks for all the fish“ sagte. Der Beginn einer Bekanntschaft, der zu einer einwöchigen Brainstorming-Session des Lucasfilm-Teams in London führte, bei der viele verrückte Ideen herumgeworfen wurden. Fox erklärte später, dass hier unter anderem die Einleitung des Spiels entstand (dazu später gleich mehr), aber generell viele Ansätze, die die Umsetzung von Labyrinth beeinflussen sollten, eingebracht wurden. Trotzdem war es dann im Endeffekt Fox, der aus den zahlreichen Notizen das fertige Gameplay und die Storyline entwickeln musste.
Zu diesem Zeitpunkt war das Adventure-Genre im Umbruch. Auch wenn Textadventures noch immer vorherrschend waren, hatte Sierra mit King’s Quest 1984 das erste animierte Adventure abgeliefert (auch wenn es aufgrund der ungeschickten Plattform-Wahl mit dem IBM Jr. als Launchplattform noch bis 1986 dauern sollte, bis das Spiel auch auf den relevanten Systemen erscheinen sollte). Allerdings setzte das Sierra-Adventure noch auf einen Text-Parser für die Kommando-Eingaben – etwas, das Fox unbedingt vermeiden wollte, um vom Problem des „Syntax-Ratens“, bei dem das Problem nicht die Idee ist, sondern wie man dem Computer erklärt, was man tun will, wegzukommen. Das Resultat war ein Interface in der Art einer Slot-Maschine: Mit dem linken Rad wählt man aus, was man tun will, das rechte Rad wählt (falls nötig) das Objekt aus, mit dem man interagieren will. Beide Räder werden je nach Kontext gefüllt, sodass nur auswählbar ist, was (halbwegs) Sinn macht. Allzu geradlinig ist die Lösung der Puzzles allerdings dennoch nicht: Erstens gibt es (hier merkt man den Humor von Douglas Adams) Verben wie „adumbrate“ – ja, es kann sein, dass man dieses tatsächlich benutzen muss; zweitens ist „kontextsensitiv“ eher relativ – es gibt zu jeder Zeit Verben und vor allem Objekte, die man gerade nicht brauchen kann (wobei es natürlich humorige Meldungen gibt, wenn man z.B. mit den Wänden spricht); und drittens haben wir es hier noch mit einem Adventure vor der „LucasArts“-Formel zu tun – habt ihr die richtigen Objekte nicht mitgenommen, bevor ihr voranschreitet, kann es passieren, dass ihr gnadenlos hängen bleibt und ihr gar nicht wisst, warum. Sagt nicht, wir hätten euch nicht gewarnt …
Wir haben vorhin schon den Beginn des Spiels erwähnt, der von Douglas Adams erdacht worden war. Ihm schwebte eine Art „Der Zauberer von Oz“-Effekt im Stil der Verfilmung mit Judy Garland vor. Der Film begann in Schwarz/Weiß, und erst als Dorothy die Tür der Hütte öffnete und durch sie Oz erblickte, war plötzlich alles im buntesten Technicolor. Im Videospiel sah die Idee wie folgt aus: Habt ihr euren Namen, euer Geschlecht und eure Lieblingsfarbe (diese entscheidet über euer Outfit und dürfte auch den Zufallsgenerator beeinflussen) eingegeben, startet das Spiel als (fast) klassisches Text-Adventure. Ja, die Kommandos kommen schon über das bereits erwähnte Slot-System, aber alle Erklärungen, alle Aktionen werden in purer Textform beschrieben. Erst wenn ihr euch ins Kino gesetzt habt und der Film beginnt, taucht plötzlich eine Pixel-Art-Version von David Bowies Jareth auf der Leinwand – und damit auf unserem Monitor - auf. Ab diesem Zeitpunkt befinden wir uns im Grafik-Adventure-Teil.
Was man dem Spiel spätestens zu diesem Zeitpunkt anmerkt: Es wurde für den C64 (sowie den Apple II und MSX) entwickelt, was der Pixelgrafik den eigenwilligen Charme dieser 8-Bit-Maschinen verleiht; auch unsere Spielfigur hat eine etwas seltsame Gehanimation. Hier wurden Komponenten von Habitat, das bei Lucasfilm Games als das erste kommerzielle MMORPG entwickelt wurde, verwendet. Was natürlich auch auffällt: Wir haben hier ein Adventure vor der Entwicklung der SCUMM-Engine. Point’n’Click gibt es hier noch nicht. Stattdessen steuern wir unsere Spielfigur direkt mit dem Joystick vor den diversen (oft mehrere Bildschirme großen) Hintergründen hin- und her (eine Art Mini-Radaranzeige hilft hier manchmal, die Übersicht zu bewahren, wo Items und Ausgänge sind) und geben mit der Tastatur Kommandos über die schon erwähnte Slot-Maschine. Das funktioniert nach ein wenig Eingewöhnung ganz gut (vor allem wenn man weiß, dass die Entwickler tatsächlich eingebaut haben, dass man mit der Tastatur die Suche nach Befehlen abkürzen kann, indem man den ersten Buchstaben eintippt), aber wir sind dann doch froh, dass SCUMM die Steuerung in eine andere Richtung brachte. Gleichzeitig hat die direkte Steuerung aber auch ihre Vorteile, denn Labyrinth ist kein ganz typisches, reines Logikspiel. Es gibt Sequenzen, bei denen es auf Schnelligkeit ankommt (z.B. wenn uns Goblins fangen wollen), und auch Konsequenzen, wenn wir scheitern (meistens durch Versetzung in Gefängnis-Räume, aber teilweise auch solche, die unseren weiteren Fortschritt blockieren). Deshalb gilt: „Save Early and Often“ – aber nicht zu oft, denn sonst geht es euch wie mir in einem Testlauf, bei dem ich mich mit einem Spielstand eingesperrt hatte, bei dem ich vergessen hatte, einen Gegenstand zu holen, an den ich jetzt nicht mehr rankam. Wie gut, dass man zwar 13 Stunden Zeit hätte, aber mit genügend Wissen das Spiel locker in einem Bruchteil davon durchspielen kann …
Gut, das sind natürlich vor allem Kritikpunkte aus der heutigen Zeit heraus – wie sieht es denn mit damals aus? Ganz gut. Es gab sehr positive Pressestimmen, die die Puzzles, das Design und das Interface lobten, aber auch kritische Stimmen, denen das Spiel zu leicht und die Steuerung zu umständlich gegenüber dem herkömmlichen Textparser war. Dem Erfolg tat das keinen Abbruch: Labyrinth war vor allem in den USA erfolgreicher als der Kinofilm, der dort an den Kassen floppte. Die Zukunft für die Adventures bei LucasArts war damit gelegt – und auch wenn man ehrlicherweise sagen muss, dass die Entwicklung von Maniac Mansion zu diesem Zeitpunkt bereits lief, sollte so manche Erfahrung aus Labyrinth noch nützlich werden …
Für mich ist es ja eigentlich umgekehrt: Von allen LucasArts/LucasFilm-Adventures war Labyrinth das letzte, das ich gespielt habe – und wirklich durchgespielt habe ich es tatsächlich erst jetzt, in Vorbereitung auf diesen Artikel. Die Gründe dafür sind vielfältig: Einerseits geht es hier um die Zugänglichkeit – als ich meinen C64 zwischen sieben und zehn ausgiebig nutzte, war es mit meinem Englisch einfach noch nicht weit genug her, um dieses Spiel spielen zu können. Andererseits haben wir es hier mit einem Adventure zu tun, wie man es heute wohl kaum noch ohne Lösung spielen möchte: Es ist relativ leicht, in einem Dead-End zu landen, weil man irgendwelche Dinge übersehen hat – und tatsächlich kann es passieren, dass man ganz zu Beginn ein Item liegen lassen oder auch zu viel verbraucht hat, dass man dann am Ende nicht mehr weiterkommt. Das entspricht der damaligen Zeit und der damaligen Adventure-Philosophie, aber aus heutiger Sicht ist es wirklich nicht mehr angenehm. Und so war Labyrinth – obwohl ich den Film liebe – für mich eher aus historischen Gründen, denn als Spiel an sich interessant.
Doch warum sollte man Labyrinth heute noch vermissen? Wohl kaum, weil man es heute noch spielen will. Ja, es hat seinen historischen Reiz und seinen Platz in der Gaming-Geschichte verdient, aber es ist kein Titel, über den man heute sagen würde „das ist besser als die heutigen Spiele im Genre“. Andererseits ist es ein Blick in die 80er, als die Videospiele noch herumexperimentieren durften, Genres sich rasant weiterentwickelten – und das Resultat ist spannend, auch wenn bei vielen Dingen offensichtlich ist, warum man sich hier auf lange Sicht für andere Pfade entschieden hat. Unter all diesem Retro-Staub findet sich nämlich doch eine Perle der frühen Lucasfilm-Adventures, bei der man erahnt, wo die Reise später hingehen könnte, aber gleichzeitig noch so vieles anders ist als die Standard-Formel, die sich mit SCUMM etablieren sollte. Dass das Slot-System der Urvater der Verbensteuerung ist, ist offensichtlich, aber gleichzeitig wurde hier mit Echtzeitelementen experimentiert und wurden verrückte Interaktionen erlaubt, die man sonst eher im Textadventure finden würde. Auch der Übergang vom Text- zum Grafikadventure zu Beginn des Spiels ist heute wohl jedem, der sich mit den Adventures der damaligen Zeit beschäftigt hat, ein Begriff. Ganz zu schweigen, dass wir es hier mit einem der seltenen Fälle zu tun haben, wo ein Spiel zum Film aus den 80ern nicht eine Gameplay-Katastrophe war. Fazit: Grund genug, Labyrinth nicht zu vergessen - einen Ausflug in Jareths Labyrinth sollte man aber dennoch nur noch als hartgesottener Retro-Fan wagen …