Spiele, die ich vermisse #180: Uchi Mata

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Wenn ich diese Zeilen schreibe, sind die olympischen Spiele in Tokyo gerade noch in vollem Gang, gehen aber schon auf ihr Ende zu. Ich gehöre ja zu jenen Leuten, die sich gerne die dazugehörigen TV-Übertragungen ansehen, weil gerade hier Sportarten oft in den Fokus gerückt werden, die normalerweise auf Spartensendern oder gar nicht gezeigt werden. Deshalb war es für mich naheliegend, auch in dieser Reihe den Gedanken an Olympia aufzugreifen. Doch wie? Die Summer Games sind bereits seit langem abgehakt, auch wenn man sich hier an weiteren Teilen der Serie bedienen könnte (tatsächlich war das lange der Plan); andere olympische Spielumsetzungen haben mich eher weniger beeindruckt, sind hier also momentan mal nicht auf der Agenda. Doch dann, als Österreich einige Medaillen vor allem im Kampfsport sammeln konnte, dachte ich mir: „Vielleicht ist das die Gelegenheit, einige Listeneinträge abzuarbeiten, für die sonst nie ein richtiger Platz auftauchen will“. Ich entschied mich also zwischen Karate und Judo … und im Endeffekt für eines der außergewöhnlichsten Fighting Games, die ich kenne: Brian Jacks Uchi Mata, oft nur Uchi Mata genannt.

So, weil ich jetzt die ersten Fragezeichen auftauchen sehe: Was, bitte, ist ein Uchi Mata? Uchi Mata ist japanisch und bezeichnet den „inneren Schenkelwurf“. Es handelt sich dabei um eine der 67 Wurftechniken des Kodokan Judo, genauer gesagt zu jenen Wurftechniken, bei denen der Fuß eine wichtige Rolle spielt (Ashi-waza), weil der Fuß des Werfers (Tori) dabei zwischen die Beine des Geworfenen (Uke) geht und (deshalb innerer Schenkelwurf) dessen Oberschenkel vom Schwungbein nach oben weggeschlagen wird. Uchi Mata gehört dabei zu den erfolgreichsten Techniken in Judo-Wettkämpfen. Und weil wir schon bei Begriffserklärungen sind: Wer ist dieser Brian Jacks? Brian Jacks ist ein britischer Judoka, der zweimal Bronze bei den olympischen Spielen erhielt, nämlich 1967 in Salt Lake City und 1972 in München. Später wurde er als Teilnehmer der BBC-Ausgabe von Superstars bekannt – eine Sendung, bei der Elite-Sportler gegeneinander antraten, allerdings in anderen Disziplinen als in jenen, in denen sie Erfolge feierten. Das führte zu zwei Spielen, die seinen Namen trugen: Brian Jacks Superstar Challenge (eben basierend auf der TV-Sendung) und Brian Jacks Uchi Mata (Uchi Mata galt als der wichtigste Wurf von Jacks, die Namensgebung war also naheliegend).

Heutzutage würde man Uchi Mata wohl aufgrund seiner Struktur als Beat’em-Up einordnen (allerdings überwiegend im deutschsprachigen Raum – international werden hauptsächlich Spiele im Stil von Double Dragon so bezeichnet, während Spiele wie Street Fighter unter „Fighting Game“ kategorisiert werden, was bei uns manchmal als „Prügelspiel“ übersetzt wurde, sich aber nie so richtig durchsetzte), auch wenn die Bezeichnung eigentlich völlig falsch ist. Judo wurde immerhin von seinem Gründer Kano Jigoro als „sanfter Weg“ (die Übersetzung von Judo) aus dem Jiu-Jitsu entwickelt und beim späteren Übergang von der Nahkampfart zum Wettkampfsport wurden Schlag-, Tritt und sonstige Techniken, die zu ernsthaften Verletzungen führen könnten, weitreichend entfernt. Wir haben es bei Uchi Mata also mit einem Beat’em-Up zu tun, bei dem es zwar einen einzigen Schlag im Move-Repertoire gibt, dieser aber zur sofortigen Disqualifikation führt – auch deshalb passt hier „Fighting Game“ sicherlich besser.

Aber was tun wir in diesem Spiel, wenn wir den Gegner nicht schlagen können? Wir werfen ihn. Judo besteht zwar eigentlich aus mehr als Wurftechniken (immerhin gibt es auch noch den Bodenkampf, der aus Halte-, Hebel- und Würgetechniken besteht), aber für dieses Spiel konzentrierten sich die Entwickler auf den Kampf im Stehen und die zahlreichen Techniken, die es gibt, um den Gegner erfolgreich auf die Matte zu befördern. Spannenderweise setzte man damit neue Standards, die das Kampfspiel-Genre bis heute prägen, auch wenn man sich an das Spiel heute kaum noch erinnert.

An dieser Stelle eine kurze Einordnung: Uchi Mata wurde von Martech entwickelt (nein, die muss man sich nicht unbedingt merken) und erschien 1986 für den C64, Amstrad CPC, ZX Spectrum und das MSX – wir sprechen also von einer frühen Zeit des Genres und befinden uns rund ein Jahr vor dem Release von Street Fighter. Natürlich war Uchi Mata nicht das erste Spiel, in dem wir als Martial Arts-Kämpfer im Einzelkampf antraten – Spiele wie Karate Champ, International Karate oder Yie Ar Kung Fu hatten dieses Gameplay bereits etabliert. Dennoch basierten diese Spiele alle noch auf einem recht simplen Eingabeschema, mit dem Tritte und Schläge ausgelöst wurden. Uchi Mata musste als Judo-Simulator deutlich komplexere Abläufe abbilden – immerhin sind die Wurftechniken selbst genau durchgeplante Bewegungsabläufe. Und das erforderte eine neue Steuerungsidee.

Falls ihr euch jemals gefragt habt, welches Fighting Game Counter, In-Air-Reversals, Special Moves mit komplexen Joystickbewegungen und sogar geheime Moves, die sich nicht im Manual fanden, erfunden hat: Das war (nach heutigem Wissensstand) tatsächlich kein Street Fighter oder andere heute noch bekannte Reihen, sondern es war Uchi Mata. Genau das sollte dem Spiel allerdings auch harsche Kritik in den damaligen Reviews entgegenbringen. „Zu kompliziert“ und „das kann man sich ja gar nicht merken“ findet sich erstaunlich oft in den (ansonsten gar nicht so schlechten) Tests. Die Zeit sollte ihnen unrecht geben, denn Uchi Matas Würfe sind von der Komplexität meilenweit entfernt von zum Beispiel den Finishing-Moves eines Mortal Kombat. Und die haben wir uns ja auch gemerkt.

So, genug der Vorrede: Wie funktioniert der Kampf in Uchi Mata? Auf der Matte stehen sich zwei Kämpfer gegenüber, die innerhalb einer vorgegebenen Zeit den Gegner besiegen müssen (sprich: entsprechende Wertungen einheimsen). Der erste Schritt für jeden erfolgreichen Angriff ist ein starker Griff – sobald wir in die Nähe des Gegners kommen, müssen wir mit dem Feuerbutton rechtzeitig zupacken. Eine entsprechende Anzeige informiert uns über die Stärke unseres Griffs und auch unsere Ausdauer. Der eigentliche Angriff erfordert, den Joystick in mehrere Richtungen zu bewegen, um den Wurf erfolgreich zu Ende zu bringen. Mit dabei sind so (relativ) bekannte Würfe wie den Opferwurf Tomoe Nage, die große Außensichel O Soto Gari oder eben auch der namensgebende Uchi Mata. Spannenderweise werden auch die entsprechenden Fußpositionen auf dem Display angezeigt – was wie Tanzdiagramme aussieht, könnte man tatsächlich auch zum Lernen der Fußpositionen nutzen.

Für den Gegner ist allerdings mit der Einleitung des Wurfes noch nicht alles vorbei: Erkennt er die Technik, kann er auch die passende Abwehrbewegung einleiten oder auch noch im Wurf versuchen, die Wucht abzumildern (hier spielt auch die Ausdauer des Geworfenen mit hinein) – fällt er nämlich mit voller Kraft auf den Rücken, gibt es den Ippon, die volle Wertung, die den Kampf sofort beendet. Die Wertungen werden von einem Kampfrichter mit den offiziellen Handpositionen dafür auf der Anzeigetafel angezeigt – immer farblich unterlegt, damit klar ist, wer die Punkte bekommt. Hier merkt man auch ein wenig das Alter des Spiels, denn hier gibt es noch vier Wertungsstufen, wobei die kleinste (Koka) mittlerweile abgeschafft wurde. Sowohl Koka als auch Yuko sind ohnehin nur bei Zeitablauf interessant, da sie niemals addiert werden. Das gibt es nur bei der zweithöchsten Wertung Waza-Ari – erlangt ein Spieler diese in einem Kampf zweimal, wird sie zu einem Ippon addiert. Die Anzeigetafel zeigt übrigens auch Platz für diverse Strafhöhen, allerdings nutzt Uchi Mata diese nicht aus, da es ausschließlich Disqualifikation gibt – und auch diese nur dann, wenn man den Gegner schlägt. Und ja, da heißt es aufpassen, den Joystick im Kampf nicht falsch zu bewegen.

Die Moves zu meistern und den Gegner konstant auf die Matte zu befördern, war auch der Hauptinhalt des Spiels. Eure Kontrahenten gleichen sich, abgesehen vom steigenden Schwierigkeitsgrad – die größte Motivation waren ein ordentlicher Highscore und euer Aufstieg in den Judo-Rängen, da nach mehreren Kämpfen eine Beförderung folgt. Am meisten Spaß machte das Spiel deshalb wohl auch dann, wenn man gegen einen menschlichen Konkurrenten spielte – zumindest, wenn beide auf einem ähnlichen Level lagen, denn Button-Mashing brachte hier niemanden weiter, vom gelegentlichen Glückswurf mal abgesehen. Oder, wie es Reviewer sinngemäß schrieben: Hier handelte es sich um ein Fighting Game, für das man tatsächlich üben muss.

Damit biege ich aber auch schon zu meiner eigenen Geschichte ab. Ich habe Uchi Mata irgendwann in den 80ern auf meinem C64 entdeckt – und das definitiv nach 1987. Warum ich das so genau weiß? Weil ich Ende der 80er selbst Judo für mich entdeckte und ich in Uchi Mata mit einigem an Vorwissen hineingegangen bin. Ich konnte zwar selbst keinen Uchi Mata (ich glaube, den Wurf habe ich erst ganz gegen Ende meiner Judo-Karriere gelernt, die (typisch ich) mehr von Gürtelprüfungen und Aufstiegen im Rang als von sportlichen Erfolgen geprägt war), aber Würfe wie O Soto Gari (der zugegebenermaßen ein Anfängerwurf ist) waren mir schon geläufig, als ich das Spiel zum ersten Mal in mein Diskettenlaufwerk legte. Auch die Fußdiagramme kannte ich aus meinem Lehrbuch. Insofern war Uchi Mata etwas, was mir durchaus vertraut war – die Terminologie, die Wertungen, etc., – und gleichzeitig spielerisch völlig fremd. In Zeiten, in denen Sportspiele aus Joystick-Rütteln bestanden und Fighting Games vor allem das Drücken des Feuerbuttons verlangten, war Uchi Mata eine Herausforderung. Wer merkt sich diese „komplexen“ (damals zumindest) Bewegungsabfolgen, die zwar irgendwie für den echten Bewegungsablauf Sinn machten, aber trotzdem ein wenig Hirnschmalz erforderten?

Ja, in Uchi Mata ist einiges an Zeit hineingeflossen, bis es die ersten Erfolge gab. Und vielleicht war es gerade deshalb ein Spiel, an dem ich wirklich dranblieb. Ja, natürlich half auch die persönliche Bindung an den Sport als Zusatzmotivation, aber war die Schwelle einmal überschritten, die ersten Moves ordentlich vorbereitet und die Konter erlernt, konnte das Spiel wirklich punkten. Nein, ich wurde nie so perfekt, dass ich bis zum höchsten Grad aufstieg (ich glaube, das wäre im Spiel der 10. Dan gewesen), aber ich konnte zumindest einige respektable Leistungen abliefern – wenn mir nicht ein dummer Fehler unterlief. Denn ja, in dieser Hinsicht war Uchi Mata knallhart – kleine Fehler konnten schnell zu einer Niederlage werden. Und das konnte frustrierend werden.

Damit komme ich aber auch schon zum Ende. Warum vermisse ich Uchi Mata? Weil es wohl das erste Kampfspiel war, in das ich mich wirklich hineinkniete. Erst bei Mortal Kombat sollte ich mich wieder hinsetzen und Kombos lernen – zwar vor allem die Finishing Moves, aber trotzdem. Weil es ein einzigartiges Spiel war – mir fallen sonst eigentlich kaum Spiele ein, die Judo zum Thema hatten (und selbst jene habe ich nicht gespielt, also keine Ahnung, welche Perlen ich verpasst habe). Und drittens, weil es natürlich für mich persönlich das richtige Spiel zur richtigen Zeit war. Wer eine Verbindung zu einem Sport hat, wird entsprechende Titel zwar vielleicht kritischer sehen, aber auch eine größere Connection aufbauen. Bei Uchi Mata und mir stimmt das zumindest auf jeden Fall. Und so denke ich bis heute an dieses kleine Spiel, das wichtig war für die Entwicklung seines Genres, auch wenn es heute eher in Vergessenheit geraten ist.

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