Spiele, die ich vermisse #160: Sokoban (AKA Boxxle)

Wenn ihr mich fragt, was das größte Problem daran ist, dass ich momentan viel zu wenig Zeit für diese Serie erübrigen kann, dann wäre wohl folgendes die Antwort: Viel zu viele Ideen gehen in meinem Kopf herum, aber ich schaffe es nicht, sie alle auch richtig zu realisieren. Gerade in den letzten zwei Monaten ergaben sich einige Ansätze, die sich Anfang nächsten Jahres nur vermehren werden (aber wenigstens auch nicht 100%ig an Aktualität verlieren werden). Und dennoch werde ich heute KEINER dieser Ideen nachgehen, sondern mich stattdessen an ein Thema wagen, das einfach zu dieser Reihe „dazugehört” - was wäre diese Reihe ohne Weihnachtseintrag? Und Weihnachten heißt bei mir nicht nur „Familie”, sondern auch C64 (obwohl z.B. auch die PS2 oder PS3 zu Weihnachten ins Haus kamen). Aus dieser Kombination hat sich recht rasch eine Erinnerung an ein Spiel ergeben, das vor allem in meiner Familie gern gespielt wurde: Sokoban.

Das Wort Sokoban ist Japanisch und heißt “Lagerhausverwalter”. Dieser Titel ist durchaus passend, denn genau darum geht es: Ihr seid ein Lagerarbeiter und müsst in der Top-Down-Ansicht allerhand Kisten, die im Level verstreut sind, auf Zielfelder bewegen. Leider (bzw. „leider”, denn sonst wäre es ja kaum ein interessantes Spiel) ist das nicht so einfach, wie es zunächst klingt, denn ihr habt ein paar Einschränkungen zu beachten: Eure Figur kann sich nur in vier Richtungen bewegen, Kisten ausschließlich schieben (und selbst das nur einzeln) und auch die Levelgeometrie mit fix vorgegebenen Wänden (die man natürlich weder betreten noch eine Kiste dort platzieren kann) macht das Spielprinzip rasch zum Gehirnverdreher. Die Urversion bot darüber hinaus nur die Möglichkeit, einen einzigen, nämlich den letzten Schritt rückgängig zu machen. Ein Fehler konnte also zum Restart führen.

Erdacht wurde das Spiel vom Japaner Hiroyuki Imabayashi 1980 für einen Ideenwettbewerb. Zwei Jahre später erschien die erste kommerzielle Version, produziert von seiner Firma „Thinking Rabbit“. Von hier ging es rasch in alle Richtungen – das Gameplay gewann rasch an Popularität und wurde im Laufe der Zeit auf so ziemlich alle Plattformen portiert. Nicht immer erschienen die Versionen dabei unter ihrem japanischen Titel. Eine der bekanntesten Fassungen hierzulande ist wohl Boxxle, das 1990 für GameBoy und GameGear erschien. Aber egal unter welchem Titel: Heute ist Sokoban eines jener Spiele, die man wirklich auf fast jeder Plattform spielen kann – sogar von einer Version auf Digitalkameras (!) habe ich gehört.

Wie so oft gilt: Ist etwas erfolgreich, wird es nachgemacht. So entstanden rasch allerhand Klone von Sokoban, die sich nicht immer an das Original-Ruleset hielten. So waren Levels bisweilen nicht mehr in ein Raster aus quadratischen Feldern eingeteilt, sondern boten z.B. Sechsecke. Oder es gab mehr als eine Spielfigur, sodass man das Problem aus mehreren Richtungen angehen konnte. Oder es gab gewisse Vorgaben, welche Kisten auf welche Zielfelder gehören oder in welcher Reihenfolge die Ziele befüllt werden müssen. Von Varianten mit Einweg-Feldern, zerstörbaren Wänden oder Teleportern mal ganz zu schweigen. Das alles machte das Gameplay natürlich noch komplexer, obwohl das eigentlich nicht notwendig gewesen wäre. Andere Versionen beschränkten sich vor allem auf neue Levels, was auch daran lag, dass Thinking Rabbit das Copyright auf das Design der ursprünglichen Abschnitte besaß. Auch hier kam aber die Einfachheit des Spiels der Community zu Gute: Würde bei einem anderen Spiel jeder Klon sein eigenes Levelformat-Süppchen kochen, gibt es mittlerweile gewisse Standards, sodass Leveldesigns sich gut zwischen diversen Versionen austauschen lassen.

Interessant ist das auch deshalb, weil sich auch die Wissenschaft, genauer gesagt die Komplexitätstheorie, schon bald für das Spiel interessierte. Hierbei geht es grob gesagt darum, wie kompliziert es für einen Computer ist, eine gewisse Aufgabenstellung zu lösen. (Achtung, jetzt wird es kurz ein bisschen mathematisch/theoretisch!) Sokoban gehört hier tatsächlich zu den wirklich harten Problemen, denn es ist nicht nur NP-Schwer, sondern sogar PSPACE-Complete. Ich will euch hier aber nicht mit Definitionen langweilen, denn sonst würde dieser theoretische Absatz nur noch länger – einigen wir uns einfach darauf: Leichte Levels knackt ein Computer noch relativ schnell und relativ einfach, aber mit größeren Levels und mehr Kisten steigen die Berechnungsdauer und der Speicherverbrauch rasant an, da man alle möglichen Züge berechnen muss - ein ähnliches Problem stellt zum Beispiel Schach dar. Gute Algorithmen wissen allerdings, wann das Spiel verloren ist, und filtern diese und andere „unnötige“ Zustände aus. Dennoch geraten normale Computer viel zu rasch an ihre Grenzen. Hier hat der Mensch tatsächlich die Nase vorn, da er diese Spiele intuitiv lösen kann – zumindest die ersten paar Level, bevor es rasch wirklich komplex wird. Und selbst dann zerlegt der Mensch das Level wesentlich effizienter in Teilprobleme, als es eine KI könnte. Zumindest, sobald er gelernt hat, wie das genau geht.

Damit wäre ich schon bei meiner persönlichen Geschichte: Ich lernte Sokoban irgendwann Mitte der 80er auf dem C64 kennen. Gerade mal in der Volkschule war das Spiel zwar intuitiv genug, um problemlos von mir gespielt zu werden und seine Faszination zu entwickeln, aber schwer genug, dass ich relativ rasch an der gestellten Aufgabe verzweifelte. Eine einfachere Levelkurve hätte dabei wohl geholfen, aber so war dieses Spiel einfach nicht gestrickt. Hier wurde man rasch (zu) sehr gefordert.

Dass ich „Kistenschieben“, wie es bei uns intern oft genannt wurde, trotzdem immer wieder starten musste, lag an meiner Mutter, die hier das erste Mal für mich so richtig bewusst ihre Zockerseite zeigte. Was später Dr. Mario und Tetris werden würde, war zuvor Sokoban, das sie regelmäßig, ausdauernd und wesentlich besser als ich spielte (und so nebenbei natürlich meinen C64 blockierte – so kann man Kinder auch dazu bringen, mal was anderes zu machen). Ich sah fasziniert zu und lernte, aber es half auf lange Sicht auch nicht, so wirklich voran zu kommen. Ja, manchmal lernte ich einfach auswendig, wie sie vorging, aber dann kam das nächste Level – und sie wurden rasch riesig und ziemlich komplex -, und ich war wieder ratlos. Dennoch hätte ich es ohne ihr Vorbild sicher weniger oft gespielt.

Interessanterweise würde ich Sokoban als eines der ersten Spiele bezeichnen, das ich tatsächlich auf mehreren Plattformen gespielt habe. Bubble Bobble könnte eventuell mit C64 und NES ihm zuvorgekommen sein, aber Sokoban am C64 und Boxxle am GameBoy kamen sicher nicht viel später. Allerdings muss ich zur portablen Version sagen, dass ich sie nie besaß – ich habe es mir im Freundeskreis ausgeborgt und ein wenig gespielt, aber das war es auch schon wieder. Auch hier hatte meine Mutter ihre Nase vorn, denn sie spielte auch diese Version wesentlich ausgiebiger als ich. Und sie bewies so nebenbei, dass sie generell gut im Codeknacken ist: Als sie an einem Level scheiterte, analysierte sie die Passwörter und generierte sich einfach jenes für den nächsten Abschnitt. Und nein, ich weiß bis heute nicht, wie sie das gemacht hat.

Nach meinem Abschied vom C64 trat Sokoban eher in den Hintergrund – ab und an entdeckte ich eine Version, vor allem dann wesentlich später in den Weiten des Internets, aber mehr als ein paar Level wurden hier selten gespielt. Von den „verrückten“ Versionen habe ich hingegen nur eine gespielt – in einer Uni-Vorlesung mussten wir alle Spiele programmieren, und während ich mich an einen Drachenflugsimulator machte, programmierten zwei Kollegen Sokoban mit Bierkisten in 3D. Übrigens ein weiterer Beweis, dass manche Spielprinzipien besser 2D bleiben sollten und mit zu vielen Dimensionen der Reiz beziehungsweise ihre süchtig machende Einfachheit verloren gehen.

Damit will ich aber auch schon zum Ende kommen – warum bleibt mir Sokoban im Gedächtnis? Sicherlich wegen seines genial simplen Spielprinzips, das aus einer einfachen Idee rasch einen echten Hirnverdreher entstehen ließ. Nicht umsonst sind solche Puzzles auch heute noch in allerhand Spielen zu finden – und sei es nur als Logikrätsel zwischendurch. Dazu kommt aber natürlich auch die soziale/familiäre Komponente, die das Spiel aus der Masse heraushebt. Ich habe einige Puzzler gespielt – darunter auch das ebenfalls ähnlich kompliziert zu berechnende Atomix – aber nur wenige mit meiner Mutter „geteilt“. Und das dann auch noch auf einer Maschine wie dem C64, der eines Tages vor viel zu vielen Jahren unter dem Weihnachtsbaum stand. Wenn es dieses Spiel nicht schafft, mich nostalgisch werden zu lassen, welches soll es dann schaffen?

In diesem Sinne: Frohe Weihnachten und bis hoffentlich bald – zumindest der Jahresrückblick sollte sich dieses Jahr noch ausgehen und dann kann ich hoffentlich bald zu meinen Ideen zurückkehren, die noch auf dem Stapel liegen …

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Danke für die schöne Serie und auch die neueste Kolumne!

Auch dir ein fröhliches Weihnachtsfest!

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