Seeungeheuer (Netflix)

Wenn Netflix sich als Computer-Animationsschmiede versucht, dann kommen im günstigsten Fall überraschend brauchbare Filmchen wie „Die Mitchells gegen die Maschinen heraus“: Die Mischung aus apokalyptischer Roboter-Schlacht, Social-Media-Kritik und herziger Familien-Klamotte wusste ihr vergleichsweise bescheidenes Budget (zwischen 50 und hundert Mio. US-Dollar) geschickt zu kaschieren. Zum Beispiel, indem man nicht auf die Sorte aufwendig ausgeleuchteter, teilweise fast fotorealistischer Optik setzte, wie Disney/Pixar sie in seinen deutlich teureren Werken (zwischen 250 und 200 Mio.) zelebriert, sondern stattdessen ein toonig-überdrehtes Chaos-Movie mit vielen gezeichneten Texturen und eigener Kreativ-Note inszenierte.

Im weniger günstigen Fall kommt bei Netflix’ Animations-Bestrebungen so etwas wie das „Seeungeheuer“ heraus. Der im Original mit „Sea Beast“ nicht weniger einfallslos betitelte Abenteuerfilm von „Baymax“-Mit-Regisseur Chris Williams ist ganze zwei Stunden lang, weiß innerhalb dieser für einen Trickfilm luxuriös langen Spielzeit aber trotzdem keine relevante Geschichte zu erzählen: Die irgendwo zwischen „Drachenzähmen leicht gemacht“ und einer knuffigen Version von „Moby Dick“ angesiedelte „Seebären jagen nautische Ungetüme, die sich dann als doch nicht so fies entpuppen“-Geschichte könnte wesentlich spannender sein, wenn sie sich nur mehr auf ihre Charaktere und deren Gefühlswelt einlassen würde – anstatt uns mit aller Gewalt ein Spektakel bieten zu wollen, für das es dem Familien-tauglichen Monsterstreifen leider an der nötigen Ausstattung mangelt.

Wenn riesige Tentakel-Kreaturen ganze Schiffe umschlingen (die sie eigentlich mühelos mit einer Bewegung wie ein Streichholz zerbrechen oder wie ein Badewannen-Boot auf den Grund ziehen könnten), möchte man gerne staunend und mitfiebern – aber leider bietet der netflix’sche Riesen-Tintenfisch und -Krabbencocktail (garniert mit einer übergroßen Nessi und kleinen Gallert-Monster-Häppchen) dafür weder die nötige optische noch akustische Klasse. Zugegeben: Vor 15 bis 20 Jahren wären das Seeungeheuer und seine Häscher eine inszenatorische Sensation gewesen – aber im Zeitalter von Computer-animierten Epen wie „Raya und der letzte Drache“, „Onward“ oder dem von Williams selber mit-verantworteten „Baymax“ wirkt die Haut der „Sea Beast“-Protagonisten wächsern, die Beleuchtung der Monster-Karibik stumpf, das Haupthaar der Helden unnatürlich und der nautische Schauplatz leider nicht annähernd so unergründlich oder magisch, wie ich es mir von einem Hoch-zu-See-Abenteuer gewünscht hätte.

Schade um das eigentlich gelungene visuelle Design der prachtvollen Schiffe, ihrer Besatzungen und riesenhaften Beutetiere: Mit etwas mehr Zeit, Budget und besserem Timing hätte „Das Seeungeheuer“ vielleicht gut genug ausgesehen, um über seine vielen Handlungslöcher, Unstimmigkeiten und die insgesamt zu teilnahmslos erzählte Geschichte hinwegzutrösten. Zumindest ein bisschen.

Denn obwohl sich das in seinen besten Momenten ungewöhnlich erwachsen anfühlende „Sea Beast“ ungefähr ab der Mitte darum bemüht, die gigantischen, eben doch nicht so bitterbösen Widersacher und ihre historisch Problem-belastete Beziehung zu den Menschen in den Mittelpunkt der Handlung zu rücken, bleibt der Film auch an dieser Stelle reichlich platt. Ebenso wie bei seinen gelegentlich aufblitzenden Versuchen, die Gemeinschaft der Monsterjäger als eine Art schräge Ersatzfamilie zu etablieren. Wo Disney es schafft, durch einen Blick oder einen Augenaufschlag eine komplexe Figur vorzustellen und im Kontext des Films richtig einzuordnen, scheitert Williams’ Netflix-Film daran, uns innerhalb von zwei Stunden auch nur einen einzigen Charakter näher zu bringen – sei es nun als sympathische Identifikationsfigur oder als interessanter Widersacher.

Das Resultat ist eine einzige, große Irrfahrt – irgendwo zwischen Action-reicher Abenteuer-Klamotte, lockerem Klamauk und tragischer Schicksal-Odyssee. Wie ein Schiff auf unruhiger See, das die Balance nicht findet, Leck schlägt und dann kurz vorm Einlaufen in den Hafen aller „Wasser schippen!“-Bemühungen zum Trotz doch noch auf Grund läuft. Blub-Blub – aus die Monster-Maus.

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