Originally published at: Kolumne: Warum aus Spielen Märkte werden - SHOCK2
Mittelerde: Schatten des Krieges wird kostenpflichtige Lootboxen erhalten. Was für ein Multiplayer-Spiel mittlerweile gang und gebe ist, ist für ein Singleplayer-Spiel unüblich. Es entsteht ein neuer Markt im Spiel, den es vorher nicht gab.
Aber was sind Märkte eigentlich und was sind ihre Vorteile?
Der Buntstiftmarkt
Nehmen wir an, in einer Grundschulklasse mit nur drei Kindern, bekommt jedes Kind zufällig einen Buntstift geschenkt. Es darf nicht getauscht werden. Kind A bekommt Rot, Kind B bekommt Blau, Kind C bekommt Gelb. Kind As Lieblingsfarbe ist Rot, also ist Kind A zufrieden. Kind B hat Blau bekommen, mag Gelb aber viel mehr. Kind C hat Gelb bekommen, mag Blau aber viel mehr. In dieser Situation ist nur Kind A glücklich. Wenn wir nun den Tausch erlauben, können Kind B und Kind C miteinander handeln. Kind B bekommt das gewünschte Gelb, Kind C das gewünschte Blau. Ein Markt ist entstanden. Alle sind zufrieden.Weiten wir das Beispiel aus
Die Klasse besteht nun aus 30 Kindern. Alle Kinder haben den exakt gleichen Betrag an Taschengeld. Der Buntstifthersteller kommt zu Besuch und hat jede Farbe unendlich oft dabei. Nun kann sich jedes Kind seine Lieblingsfarbe aussuchen, muss dafür aber bezahlen. Verschenken möchte der Buntstifthersteller seine Produkte nicht, er möchte Geld. Der Preis jeder Farbe ist exakt gleich. Ein Wettbewerb um eine bestimmte Farbe zwischen den Kindern gibt es auch nicht. Selbst wenn alle 30 Kinder die gleiche Farbe haben wollen, sie ist unendlich oft verfügbar. Alle Kinder sind zufrieden.Weiten wir das Beispiel noch einmal aus
Die Klasse besteht nun aus 1.000 Kindern. Manche Kinder verfügen über knappes Taschengeld, andere hingegen über sehr üppiges Taschengeld. Die Kinder dürfen die Buntstifte untereinander nicht tauschen. Der Buntstifthersteller kommt erneut zu Besuch und hat wieder jede Farbe dabei. Allerdings sind manche Farben knapp. Standardfarben wie Rot und Blau sind unendlich verfügbar, Premiumfarben wie Gold und Silber sind hingegen sehr selten. Statt aber nun die einzelnen Stifte zu verkaufen, bietet der Buntstifthersteller undurchsichtige Federmappen mit drei zufälligen Stiften an. Manche Kinder stören sich am Zufallsprinzip und kaufen nichts. Diese Kunden verliert der Buntstifthersteller komplett. Der Großteil der Kinder kauft ein paar Federmappen und belässt es dabei. Ihr Taschengeld reicht nicht aus, sie möchten sie lieber für andere Dinge ausgeben oder sie hatten bei den ersten Versuchen Pech und steigen aus.Im Vergleich zu dem direkten Verkauf der Stifte macht der Buntstifthersteller mit diesen Kunden teilweise mehr und teilweise weniger Geld. Und dann gibt es noch eine dritte Gruppe an Kindern, die sehr viele Federmappen kaufen. Sie wollen alle Premiumfarben besitzen und sind dazu bereit, ihr üppiges Taschengeld für dieses Ziel auszugeben. Vielleicht wollen sie mit all den Stiften angeben oder sie können sich einfach nicht kontrollieren. Den Buntstifthersteller jedenfalls freut es. Das Potenzial des Zufallsprinzips mit dieser kaufstarken Gruppe alleine, ist höher als das Potenzial des gesamten direkten Verkaufs an alle Kinder.
Abschöpfen, abschöpfen, abschöpfen
Konsumenten sind unterschiedlich. Manche haben viel Geld, andere haben weniger Geld. Ein Markt erlaubt es Produzenten, alle Kunden ansprechen zu können. Für lange Zeit war das in Videospielen nur eingeschränkt möglich. Ein Spiel kostet 60 Euro, fertig. Der Preis ist starr. Ob nun Sparfuchs oder reicher Fan, jeder Kunde kann nur 60 Euro ausgeben. Das mag übersichtlich und vielleicht “fair” sein, im Grunde ist es aber schlechtes Management. Während manche Kunden nur 60 Euro ausgeben wollen oder können, gibt es auch Kunden mit einer viel höheren Kaufbereitschaft. So entstand der Trend der Collector’s und Special Editions. Wer mehr zahlen möchte, bekommt auch physische Boni wie Figuren oder Sammelkarten. Da alles Physische aber endlich ist, sind auch diese Special Editions knapp. So werden einige Special Editions schnell ausverkauft und daraufhin für Unmengen auf Auktionsplattformen verkauft. Es entsteht ein Wettbewerb im Konsum, da nicht jeder interessierte Konsument das Gut auch kaufen kann. Doch was passiert, wenn es diesen Wettbewerb nicht gibt, weil die zusätzlichen Kaufoptionen digital sind?Free-to-Play (F2P) zeigt, welches Potenzial hier steckt. Während der Großteil der F2P-Spieler gar kein Geld für kostenlose Spiele ausgibt, sorgt der kleinste Teil der Spielerschaft für Milliardengewinne. Entweder durch den Kauf von Effekten, die einen Vorteil im Kampf bescheren, durch das kostenpflichtige Überspringen von Wartezeiten oder eben die Zufallselemente. Lootboxen, Kartenpakete, Gacha. Auf diesen Konzepten ist ein milliardenschwerer Markt entstanden. Da nun mal manche Spieler ihre Freunde unbedingt schlagen möchten, ihren Lieblingscharakter unbedingt wollen, schlicht ungeduldig sind oder sie sich einfach nicht kontrollieren können. Was auch immer der Grund für diese hohe Bereitschaft zum Geld ausgeben sein mag, diese nicht abzuschöpfen, wäre für ein gewinnorientiertes Unternehmen zweckfremd.
Der Singleplayer-Markt
An Mikrotransaktionen/In-App-Käufen (IAP) und kostenpflichtigen Zufallselementen in Multiplayer-Spielen dürften sich die meisten mittlerweile gewöhnt haben. Lootboxen sind ein zentraler Bestandteil des hoch populären Blizzard-Shooters Overwatch und ohne FIFA Ultimate Team-Kartenpakete können sich viele Spieler die EA-Fußballsimulation gar nicht mehr vorstellen. Im besten Fall bringen diese IAP nur dekorative Artikel, wie zum Beispiel die Skins in Overwatch. Im schlimmsten Fall artet das Spiel in Pay-to-Win (PTW) aus. Wer im kostenlosen Blizzard-Kartenspiel für Kartenpakete bezahlt, hat höhere Chancen auf seltene und bessere Karten.Auch Produzenten von Singleplayer-Spielen möchten die individuelle Kaufbereitschaft der Konsumenten so gut wie möglich abschöpfen, die Möglichkeiten dazu sind traditionell aber eher limitiert. Kostenpflichtige Zusatzinhalte wie Nebenmissionen in Form von Download Content (DLC) bieten diese Möglichkeit zwar an, aber auch hier sind die Preise starr und auch hier liegt viel Potenzial brach, das sich erst durch einen Markt und Zufallselementen entfalten kann.
Genau das versucht nun Warner Bros. mit dem bald erscheinenden Mittelerde: Schatten des Krieges, dem Sequel zum hochgelobten Mordors Schatten. Vollpreis im Handel, kostenpflichtige Boxen im Spiel. Diese bringen Ausrüstung, Orks und Erfahrungspunkte in unterschiedlichen Seltenheitsgraden. Zwar lassen sich diese Boxen auch mit der virtuellen Währung im Spiel kaufen, aber natürlich gibt es auch die Option, echtes Geld für sie zu bezahlen. Es werden also Cheat-Codes verkauft.
Was genau wird das für das Spiel bedeuten? Werden Spieler, die kein echtes Geld ausgeben wollen, die besten Orks nicht rekrutieren können? Wird das Spiel künstlich in die Länge gezogen oder sogar erschwert, um zum Kauf von Boxen zu animieren? Wie unterschiedlich wird das Spielerlebnis zwischen zahlenden und nicht zahlenden Spielern sein? Wozu überhaupt Boxen in ein Spiel einbauen, das doch zum Vollpreis im Handel angeboten wird? Diese Fragen werden unweigerlich aufkommen. Gute Antworten, die alle zufriedenstellen, wird es aber nicht geben. Warner Bros. mag zwar beteuern, dass die Boxen keinerlei Effekte für nicht-zahlende Spieler haben werden, aber warum sollten das die Spieler glauben? So ein Markt impliziert immer Einschnitte in das Gameplay, die den Kauf der Boxen attraktiv machen sollen. Warner Brothers wird sich mit diesem Schritt neue Erlöse erhoffen, sonst wären die Boxen erst gar nicht enthalten. Diesen Fakt kann auch das schönste Marketing der Welt nicht wegreden.
Es funktioniert einfach
Warum Spiele überhaupt erst Märkte bekommen, ist schnell geklärt. Weil es funktioniert. Es gibt eben Kinder, die unbedingt alle seltenen Buntstifte haben wollen. Die Frage nach dem Sinn und Unsinn dieses Unterfangens ist dabei sinnlos. Unterschiedliche Kunden haben unterschiedliche Prioritäten und unterschiedliche Sichten auf das Thema “Wert”. Manchen Spielern ist es einfach 100 Euro im Monat wert, um an der Spitze der Highscore-Liste zu stehen. Diesen Kunden muss ein gewinnorientiertes Unternehmen die Möglichkeit bieten, mehr Geld auszugeben. Aber ist das überhaupt so schlimm? Wenn manche Spieler unbedingt gleich nach dem Start die beste Waffe und damit das halbe Spiel überspringen wollen, wen stört das? Wenn manche Spieler unbedingt alle Skins in Overwatch besitzen wollen, so unrealistisch und teuer dieses Unterfangen auch sein mag, ergibt sich daraus ein Nachteil für die anderen?Pay-To-Win ist für ein Singleplayer-Spiel wie Mittelerde: Krieg der Schatten kein Thema. Wer wenig Zeit hat, kann Teile des Spiels überspringen und bezahlt für die bessere Ausrüstung halt mehr Geld. Vielleicht hat die Idee großes Potenzial für japanische Rollenspiele, die gerne mal über 100 Stunden lang und mit langweiligen Nebenaufgaben gefüllt sind. Wer diese Nebenaufgaben gerne absolviert, hat sich das Spiel ja gerade deswegen gekauft und hat Spaß daran. Wer hingegen nicht die Zeit aufbringen kann, trotzdem das Ende sehen möchte und dazu bereit ist, Geld auszugeben, könnte sich über diese Option freuen.
Welche Auswirkungen hat so ein Verhalten auf das Medium? Wie “komplett” werden sich Vollpreisspiele in ein paar Jahren noch anfühlen, wenn Zufallselemente und IAP immer stärker in den Fokus der Unternehmen geraten? Wie entspannt kann man das Lieblingshobby noch genießen, wenn an jeder Ecke ein virtueller Staubsaugervertreter steht? Und wie kann man als Individuum eigentlich eine Industrie unterstützten, die gezielt auf Schwachpunkte des Menschen und auf dessen Sammeltrieb setzt, um noch mehr Geld zu machen?
Über diese Fragen denkt die Wirtschaft nicht nach. Hier heißt es nur: Abschöpfen, abschöpfen, abschöpfen. Wer die seltenen goldenen und silbernen Stifte unbedingt haben möchte, muss eben zahlen. (kf)