Originally published at: Kolumne: PlayStation VR - Ein Hauch Wahnsinn - SHOCK2
Man könnte es schon wieder glatt vergessen haben. Vor knapp sechs Monaten erschienen Oculus Rift und HTC Vive. VR ist nun also endlich mehr als nur ein Versprechen. VR ist hier, VR ist kompliziert und VR braucht dringend einen neuen Impuls.
Schon in drei bis fünf Jahren könnten wir auf 2016 zurückblicken und uns alle schlapp lachen über die ersten VR-Brillen. Klobig, teuer, kompliziert. Für Oculus und Vive wird überdurchschnittlich gute und teure PC-Hardware benötigt, wer Valves gute Move-Controller benutzen möchte, kann eigentlich gleich einen ganzen Raum nur für VR einplanen. Für den Großteil der Spieler vollkommen realitätsfern. Und für was eigentlich? Schaut man auf Steam, wird man von täglich neuen VR-Titeln erschlagen und doch fehlt dieser eine Titel. Was ist eigentlich aktuell DER VR-Titel? Die nüchterne Antwort: Es gibt keinen. Das überrascht auch nicht wirklich, da VR sich noch selbst finden muss. Was funktioniert in VR, was funktioniert nicht. Das Nachschlagewerk “VR 101” schreiben wir gerade alle gemeinsam und keiner weiß eigentlich so genau, was am Ende dabei rauskommt. Das ist spannend, aber es dauert.
Nicht nur das neue Medium sucht sich selbst, auch das unverzichtbare Übel der Marktwirtschaftlichkeit sucht noch den richtigen Umgang. Bestes Beispiel: Preise. Preise für VR-Titel variieren von 0 Euro bis hin zu 60 Euro. Irgendwas wird schon kleben bleiben. Wer eh schon knapp 1.000 Euro für einen PC und VR ausgibt, für den werden 50 Euro für ein VR-Spiel schon ok sein, auch wenn es jetzt kein Skyrim VR sein sollte. So der Gedankengang vieler Entwickler, der auch durchaus zutrifft. Von außen betrachtet wirken die Preise für das Dargebotene viel zu hoch, auch wenn die Entwickler Monate ihres Lebens in ein Produkt stecken, das nur ein winziger Bruchteil aller PC-Besitzer kaufen und spielen kann. Auch interessant: Offenheit der Plattform. Das Vive ist typischerweise für Valve ziemlich offen. Das ist auch notwendig für das neue Medium, das von Natur aus an eine offene Plattform, den PC, gebunden ist. Erst so kann es sich ohne Hemmnisse entfalten und weiterentwickeln. Facebook geht mit Oculus aber einen etwas anderen Weg. Spiele für Oculus laufen nicht auf Vive. Warum auch, sagt Facebook, wir stellen die Plattform für diese Titel bereit oder bezahlen einen Teil der Entwicklung. Stimmt, wäre da nur nicht eben wieder der offene PC im Hintergrund. Das stößt sauer auf. Facebook zeigt mit dem Finger auf Sony und sagt: Schau mal da, die sind schlimmer.
Stimmt. Aber genau das kann VR jetzt gebrauchen.
Mittlerweile haben wir uns an den Gedanken einer Sony VR-Brille gewöhnt, aber vielleicht müssen wir uns gerade aus diesem Grund noch einmal vor Augen führen, wie überraschend PlayStation VR eigentlich ist. VR als Technologie für Videospiele in ihrer heutigen Form ist neu, Oculus und Vive sind hier Vorreiter. Etwas handfester ausgedrückt: VR für Videospiele in dieser Form befindet sich in der Phase der Einführung im Produktlebenszyklus. Der Zyklus beschreibt den Werdegang eines Produkts, von der Einführung bis hin zum “Tod”. In dieser Phase stecken die hohen Entwicklungskosten in den Knochen und es muss viel Marketing betrieben werden, um den Leuten das neue Produkt zu erklären. Auch hier etwas handfester ausgedrückt: Eigentlich erzielt ein Unternehmen hier noch keine Gewinne. Es geht vielmehr darum, sich schnell in dem neuen Markt zu etablieren, um nach und nach die Gewinne ankurbeln zu können. Kann gut gehen, kann aber auch schief gehen und eine Menge Geld kosten. Gerade in Anbetracht der letzten paar Geschäftsjahre - PC-Geschäft abgestoßen, TV-Geschäft stagniert, Handy-Geschäft stark reduziert, etc. - könnte man meinen, Sony wäre nicht wirklich in Stimmung für große Risiken. Und doch. Mit der größten Sony-Marke, der PlayStation, und dem ehemaligen PlayStation Chef, Kazuo Hirai, an der Spitze, steigt Sony in den Ring. Nicht Apple oder Microsoft. Sony.
Vielleicht ist es genau dieser Hauch Wahnsinn, den VR gerade dringend notwendig hat. Im Gegensatz zur Konkurrenz ist PSVR nicht an einen PC gebunden, sondern an eine Konsole. Zwei komplett unterschiedliche Welten prallen hier aufeinander. Der offene PC und die geschlossene Konsole. Das bringt Vor- und Nachteile mit sich. Entwickler wissen ganz genau, welche Hardware die Spieler besitzen und Spieler erwarten sich eine ähnlich reibungslose Bedienung, wie man sie von Konsolen her kennt. Ein weiterer Vorteil ist Sony selbst. Ein großes Team an Entwicklern wird exklusiv an PSVR arbeiten. Dieses Risiko können viele andere Studios einfach nicht eingehen, solange es nicht genug PSVR-Besitzer gibt. Seien es komplett neue Spiele oder Extras für alte Spiele. Von Uncharted bis hin zu Ratchet & Clank, liebgewonnene Franchises in VR könnte viele Spieler zum Kauf überreden, was mehr Interesse an VR an sich und damit wieder mehr VR-Spiele zur Folge haben könnte.
Ob das denn wirklich so eintreffen wird, steht natürlich in den Sternen. Natürlich kann PSVR technisch nicht mit der Konkurrenz mithalten. Diese nutzt den PC als Basis und der ist hardwaretechnisch nach oben einfach offen. 399 Euro für PSVR klingt für PS4-Besitzer auf den ersten Blick auch nicht nach viel, gemessen an der Konkurrenz auf dem PC, aber durch die Zusatzhardware wie die Kamera und den Move-Controller, dessen alte Technik noch beweisen muss, dass sie im VR-Zeitalter mithalten kann, steigt der Preis dann plötzlich doch deutlich über die für das Marketing wichtigen 399 Euro.
VR ist erschienen. Faszinierend wie eh und je, aber irgendwie fasziniert es vor sich hin. Mit PSVR werden mit einem Schlag über 40 Millionen Spieler zu potenziellen VR-Spielern, die neuen Schwung in ein neues Medium bringen werden. Ob Sonys simplere Herangehensweise ziehen wird, ob PS4-Besitzer noch mal mindestens 399 Euro ausgeben werden und ob Konsolen-VR überhaupt bestehen kann im neuen Markt, das kann niemand vorhersehen. Was wir wissen, PSVR ist vor dem Release überall restlos ausverkauft und unser kollektiv verfasstes “VR 101” wird am 13. Oktober 2016 ein neues Kapitel erhalten. (kf)