Kenschtatischs obskure Ecke des akustischen Erlebnisses

Hallo, meine Freunde!

Ich liebe Bücher. Als ausgebildeter Schauspieler, bin ich diesbezüglich auch etwas einschlägig vorbelastet. Bereits als Kind habe ich dieses Medium verschlungen, teils noch bevor ich in der Schule lesen gelernt habe. An dieser Leidenschaft hat sich bis heute nichts geändert. Ich besitze einen Kindle, über den ich eBooks konsumiere. Diese bevorzuge ich deswegen, weil ich davon Unmengen stets bei mir bequem umehrtragen kann.

In diesem Thema widme ich mich aber den Audiobooks. Obwohl ich auch heute noch gerne durch die (elektronischen) Seiten eines geschriebenen Buches blättere, fehlt mir oft die Zeit, auch gute Literatur in einem geringen Zeitraum abzufertigen.

Hörbücher bieten für mich den Vorteil, dass ich sie während (vieler und langer) Autofahrten gut konsumieren kann. Ich kann also den Ausstoß an Meinungen in diesem Thema konsequent hoch halten.

Es handelt sich bei den folgenden Texten wohlgemerkt um persönlich Eindrücke und Meinungen, die nicht zwangsweise kongruent zu irgendwelchen anderen sein müssen. Ich will meine Meinung auch niemandem aufzwingen, sie sehr wohl aber hier der gepflegten Diskussion preisgeben.

Ich habe das Musik-Forum deshalb gewählt, weil mir das Thema hier als am Passendsten erscheint. Ein Literaturforum gibt es ja (noch) nicht.

Viel Vergnügen und regen Diskurs!

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1. Natascha Kampusch - 10 Jahre Freiheit

Zehn Jahre ist es
mittlerweile her, dass sowohl das mediale als auch das private Österreich
förmlich aufschrie, als sich einer der größten Kriminalfälle der Republik im
August 2006 lüftete.

Natasch Kampusch,
die am 2. März 1998 auf dem Schulweg spurlos verschwand und insgeheim
allerseits – von ihren Eltern und nächsten Anverwandten abgesehen – für tot
gehalten wurde, konnte sich nach achteinhalbjähriger Gefangenschaft aus den
Fängern ihres Peinigers Wolfgang Priklopil aus eigener Kraft befreien.

Nachdem das Opfer bereits vor sechs Jahren ihre Erlebnisse im dunklen,
engen Kellerverlies in ihrem Buch „3096 Tage“ für sich, vor allem aber für die
Öffentlichkeit, aufarbeitete, nutzt sie den „Jahrestag“ ihrer Selbstbefreiung
dazu, ein weiteres Stück Literatur zu veröffentlichen.

In „10 Jahre Freiheit“, beschreibt Kampusch, dem Titel folgend, die erste
Dekade nach der Flucht aus dem Keller des Hauses von Wolfgang Priklopil und
geht, wieder hauptsächlich mit der Intention, die Öffentlichkeit zu
informieren, auf das Leben und die Schwierigkeiten und Hindernisse eines
Menschen, dessen Jugend derartig traumatisiert war, dass man getrost von einem
Raub von Lebenszeit sprechen kann, ein.

Ich habe die entsprechende Hörbuchedition von „10 Jahre Freiheit“ erworben
und diese im Laufe der letzten Tage konsumiert.

Ich möchte vorerst einige Bemerkungen zu formaler und technischer Qualität
des Audiobooks an sich abgeben und erst in weiterer Folge meine Erlebnisse mit
dem Inhalt desselbigen teilen.

Ich habe das Hörbuch via Audible bezogen. Mit diesem Dienst habe ich immer
beste Erfahrungen gemacht und sowohl Sprecher, als auch akustische Aufarbeitung
befinden sich stets auf höchstem Niveau. „10 Jahre Freiheit“ folgt dieser
überaus lobenswerten Tradition und gibt sich in keinerlei Hinsicht eine Blöße.

Der Text wird von der hochrenommierten deutschen Schauspielerin Sascha Icks
mit einer derartigen Feinfühligkeit und Empathie eingesprochen, dass man
bereits nach wenigen Minuten annimmt, sie selbst wäre das Opfer der Entführung
und hätte all diese einschneidenden Erlebnisse am eigenen Leib durchgemacht.
Ein kollegiales Kompliment an dieser Stelle für diese grandiose Leistung!

Ob sich Natascha Kampusch für ihr aktuelles Werk eines Ghostwriters bedient
hat, konnte ich im Verlauf meiner Recherchen leider nicht eindeutig eruieren;
allerdings gehe ich, ohne der jungen Dame sicherlich vorhandenes Talent
absprechen zu wollen, stark davon aus. Alle Texte sind in hochtrabendem,
perfektem und rhetorisch einwandfreiem Deutsch abgefasst. Dabei werden sie
allerdings niemals zu kompliziert oder so komplex, dass sie nicht eingängig vom
Datenträger ins Ohr des Auditoriums gelangen und sofort in der menschlichen
Denkzentrale weiterverarbeitet werden können.

Inhaltlich beschränkt sich das Hörbuch nicht sklavisch darauf,
ausschliesslich die Erlebnisse in den Jahren der Freiheit zu schildern. Immer
wieder tauchen Rückblenden auf, die sowohl Entführung als auch Gefangenschaft,
sowie das vielschichtige Verhältnis zwischen Opfer und Täter beleuchten.

Kampusch ist sehr bemüht, ihrem Publikum zu vermitteln, was es bedeutet,
als kleines Kind auf brutalste Art und Weise von den Eltern getrennt zu werden
und dann, von der Umwelt abgeschirmt und von einem schwer einordenbaren
Sonderling umgeben, aufzuwachsen. Man merkt, dass es der jungen Frau ein großes
Anliegen ist, die Öffentlichkeit darüber aufzuklären, dass ihr Martyrium einerseits
auch genau ein solches war und dass es andererseits nicht dann endet, wenn die
medialen Stimmen ringsherum verstummen.

Ich will an dieser Stelle gar nicht allzu genau auf die Worte und Gedanken,
die Natascha Kampusch in ihrem Buch schildert, eingehen, da ich keinem das
(zweifelhalfte) Vergnügen (und genau das war es auch) des Lesens oder Hörens
nehmen will. Allerdings ist es mir ein Anliegen zu vermerken, dass es der
Autorin zwar in höchstem Maße gelungen ist, ihre schwierige Situation, der sie
seit ihrer Selbstbefreiung im Jahr 2006 tagtäglich ausgesetzt ist, in Worte
(und Emotionen) zu fassen, dass sie dabei allerdings auch hie und da hart an
der Grenze zum Selbstmitleid schrammt. Gott sei Dank überschreitet sie diesen
schmalen Grat nie wirklich, es gelingt ihr stets, wieder gekonnt zurück zu
rudern und so ihre Leserschaft nicht unnötig zu verstören.

Abschließend bleibt nur noch zu sagen, dass das Hörbuch „10 Jahre Freiheit“
nicht nur informiert und/oder klarstellt, sondern durchaus – und das soll auf
keinen Fall zynisch klingen – auch unterhält. Ich weiß, dass gegenüber der
Person Natascha Kampusch in der Öffentlichkeit vereinzelt gewisse Ressentiments
herrschen. All jenen, die sich von dieser Frau entweder abgestoßen oder
irritiert fühlen oder die sie vielleicht auch belächeln, rate ich, diesem Buch
eine Chance zu geben. Es verleiht neue Eindrucke und wirft in mancherlei
Hinsicht ein ganz anderes Licht auf einen Menschen, der einen ganz, ganz
wichtigen Teil seines Lebens verloren hat.

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