Kolumne: Destiny 2 – Der kalkulierte Megahit

Bungie und Activision haben in dieser Woche Destiny 2 enthüllt. Der Nachfolger des Shooters von den ehemaligen Halo-Entwicklern Bungie wurde dabei nicht wie irgendein Videospiel angekündigt. Das lässt schon erahnen, welche Ziele sich Activision gesteckt hat.

Luke Smith, der Director von Destiny, betritt die Bühne. Nach Wochen der Spekulationen beginnt endlich das Event, das ein neues Kapitel für das Mammutprojekt aufschlagen soll. Drei turbulente Jahre liegt der Release des ersten Teils zurück. Nach dem grenzenlosen Hype des Launches teilten sich die Spieler sich zwei Gruppen auf. Die eine war enttäuscht vom kargen Inhalt, wollte mehr Handlung und cineastische Missionen, weniger Grinding, mehr Spaß. Die andere Gruppe spielt Destiny immer noch. Jeden Tag. Diese Gruppe hat Destiny als Diablo Ego-Shooter akzeptiert. Es geht nicht um die Zwischensequenzen, es geht um das Gameplay. Für sie ist das Grinden kein Malus, sondern das Spiel an sich. Eine ewig vor der Nase baumelnde Karotte, die man nie fangen kann, aber immer fangen will.

Trotzdem, die anfängliche Euphorie erhielt spürbare Dämpfer und das gleich nach dem Launch. Mit der Zeit tauchten immer mehr Details zur problematischen Entwicklung auf, in der die Handlung zum Großteil über Bord geworfen und irgendwie zusammengeflickt wurde. Dieses Chaos überrascht heute immer noch. Immerhin ist es das erste neue Franchise Bungies seit Halo. Immerhin erscheint es von Activision, ein sehr effizienter Publisher, der viel Erfahrung mit Megahits (Call of Duty, Guitar Hero, Skylanders) hat. Immerhin hat Activision ganze 500 Millionen US-Dollar in das Marketing gesteckt, höchstwahrscheinlich Industrierekord. Vier Erweiterungen sind seit dem Launch erschienen, wirklich überzeugen konnte davon nur eine, The Taken King. Dazu kam noch ein katastrophales Interview mit Luke Smith, das tagelang für Aufruhr sorgte und selbst die größten Fans wütend machte.

Nun ist es also dieser Luke Smith, der auf die Bühne kommt und eine Pressekonferenz startet, die was den Ablauf anbelangt ebenso von Apple oder Microsoft stammen könnte. Präsentatoren wechseln sich ab, sprechen über das Phänomen Destiny und präsentieren Neuerungen. Hier wird Activisions Ziel deutlich; Destiny ist nicht nur ein Spiel, Destiny ist ein Event. Es ist der regelmäßige Termin im Kalender, der Spaß verspricht, der das Fundament für Freundschaften fürs Leben setzt. Es ist schon eine bemerkenswerte Pressekonferenz für das Medium Videospiel, denn sie besteht nicht nur aus zwei Zeilen Marketing, einem Trailer und vielleicht etwas Gameplay. Diese Pressekonferenz möchte mehr. Destiny, immer noch eine junge Marke, beansprucht einen festen Platz im Leben der Videospieler für sich. World of Warcraft, League of Legends, Dota 2 oder Overwatch. Da möchte Destiny hin.

Aber wird das gelingen? Die Reaktionen auf das Event sind wieder zwiegespalten. Die eine Gruppe setzt schon den Termin im Kalender, die andere Gruppe sieht einen glorifizieren DLC. Es gibt aber eine dritte Gruppe: die Industrie. Und für diese ist die Sache schon längst klar. Ginge es nach der Industrie, wird Destiny 2 der Megahit des Jahres. Von anderen Publishern bis zum Handel, alle stellen sich auf einen riesigen Erfolg des Nachfolgers ein. Activision selbst ließ es sich nicht nehmen, die Bühne zu betreten. Destiny ist für 10 Jahre durchgeplant. Mit dieser Zäsur werden die Lehren der ersten drei Jahre Destiny umgesetzt. Versprochen werden eine richtige Handlung, weniger Ladezeiten, mehr Möglichkeiten zum Spielen miteinander. Ob das der kritischen Gruppe an Spielern ausreicht, um die Negativpunkte des ersten Teils vergessen zu machen, wird sich zeigen müssen. Destiny 2 wird jedoch, möchte man den Eindrücken der Industrie glauben schenken, das “nächste große Ding”. (kf)

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In ihrer „Dialektik der Aufklärung“, die 1947 erschien und als Hauptwerk der Frankfurter Schule gilt, schreiben Adorno und Max Horkheimer folgendes über das Wesen der Freizeitbeschäftigung: „Amusement ist die Verlängerung der Arbeit unterm Spätkapitalismus. Es wird von dem gesucht, der dem mechanisierten Arbeitsprozeß ausweichen will, um ihm von neuem gewachsen zu sein. Zugleich aber hat die Mechanisierung solche Macht über den Freizeitler und sein Glück, sie bestimmt so gründlich die Fabrikation der Amüsierwaren, daß er nichts anderes mehr erfahren kann als die Nachbilder des Arbeitsvorgangs selbst.“ Vereinfacht gesprochen: Wenn wir nicht gerade arbeiten, dann amüsieren wir uns mit Arbeit.

Es ging Adorno und Horkheimer im Jahre 1947 natürlich nicht um Videospiele. Aber kann man diesen Gedanken nicht auch auf Spiele und ihre Industrie übertragen? Vielen modernen Spielen wohnen industrielle Arbeitsprozesse inne. Nehmen wir eine beliebige Quest aus World of Warcraft. Sie besteht aus einer spezifischen Arbeitsanweisung – „Töte 10 Wölfe“ – und aus einem Lohn. Man opfert Zeit und bekommt Geld. Die konkrete Arbeitsanweisung, der in Aussicht gestellte Lohn oder der erzählerische Kontext können variieren – aber der Arbeitsprozess bleibt identisch und läuft in Endlosschleife. „Der vorgebliche Inhalt ist bloß verblaßter Vordergrund; was sich einprägt, ist die automatisierte Abfolge genormter Verrichtungen“, schreiben Adorno und Horkheimer. Sie hätten sich ebenso gut auf ein Spiel der Ubisoft-Formel beziehen können. Oder auf die täglichen Quests von Hearthstone. Oder einen erheblichen Teil von Final Fantasy 15.

Und die angesprochene Automatisierung ist inzwischen beinahe flächendeckend zu beobachten. Der Spieler soll nicht mehr nach dem Weg oder dem Questziel suchen müssen. Er soll sich nicht merken, was als Nächstes zu tun war oder wie viele der angeforderten 12 Wildschweinfelle er schon gefunden hat. Er soll keine Handbücher lesen und keine Tastaturbelegungen studieren, soll keinen Ort verpassen, keine Munitionskiste übersehen, keine Aufgabe vergessen. Gefragt sind keine mündigen Arbeiter, keine talentierten, keine gebildeten, keine kreativen. Nur arbeitswillig müssen sie sein. Den Rest erledigen automatisierte Prozesse – wie in der Systemgastronomie. Die Pommes piepen sich schon, wenn sie fertig sind.

Erstaunlich dabei ist nicht nur, wie viele Menschen Geld für eine Arbeit ausgeben, die sie gegen Geld womöglich nie erledigen würden – die Landwirtschafts- und Omnibussimulatoren dieser Welt lassen grüßen. Sondern auch wie tief verwurzelt gerade die anspruchslosesten Tätigkeiten im Selbstverständnis der Konsumenten sind. Das Schreckgespenst heißt Pay2Win. Selbst wenn sich ein dressiertes Äffchen auf die Maximalstufe spielen könnte – diesen Fortschritt hat man sich zu erarbeiten und nicht einfach so zu erkaufen.

Die Kritik von Adorno und Horkheimer am Amusement als Verlängerung der Arbeit im Spätkapitalismus richtet sich explizit gegen die so transportierten und verfestigten Welt- und Menschenbilder. Gegen Herrschafts- und Unterdrückungsmechanismen. Für Adorno und Horkheimer waren zum Beispiel die Trickfilme der 40er-Jahre dazu geneigt, eine Kultur der „organisierten Grausamkeit“ zu konstituieren. Donald Duck bezog Prügel, damit sich die Zuschauer an ihre eigenen Prügel gewöhnten. „Sofern die Trickfilme neben Gewöhnung der Sinne ans neue Tempo noch etwas leisten, hämmern sie die alte Weisheit in alle Hirne, daß die kontinuierliche Abreibung, die Brechung allen individuellen Widerstandes, die Bedingung des Lebens in dieser Gesellschaft ist“, heißt es in der Dialektik der Aufklärung.

Ich finde man sollte sich fragen, welches Menschenbild modernen Spielen eigentlich innewohnt. Und zwar nicht nur auf narrativer Ebene, sondern ganz fundamental auf struktureller. Fördern sie wirklich – wie es die Hersteller in ihren Trailern und Pressekonferenzen seit Jahren in die Welt hinaus posaunen – die Individualität, das Empowerment des Spielers? Oder zementieren sie in Wahrheit das Gegenteil? Bezahlen wir alle nach der Arbeit für das Privileg, einem Zweitjob nachzugehen, der uns geringschätzt, ausbeutet und belügt?

„Immerwährend betrügt die Kulturindustrie ihre Konsumenten um das, was sie immerwährend verspricht“, konstatieren Adorno und Horkheimer in ihrem Werk. Möglicherweise haben sie damit Recht.

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