Kolumne: BWL der Remasters

Bulletstorm Remastered erscheint 2017 für PS4, Xbox One und PC. Der Spaß-Shooter von Epic Games ist sicherlich durchaus sympathisch und ein Remaster auch ganz nett. Trotzdem stellt sich die Frage nach dem warum. Warum ist die Industrie derart versessen auf die Veröffentlichung von alten Spielen, sodass es sogar einen Award für das unnötigste Remaster gibt? Die intuitive Antwort ist natürlich: weil Geld. Stimmt. Es spielen aber auch Eigenarten und Besonderheiten der Medienherstellung eine Rolle, für die sich ein Ausflug in die Betriebswirtschaftslehre (BWL) lohnt.

Von fixen und variablen Kosten
Die Herstellung von Gütern kostet Geld. Ein Videospiel, ein Tisch, ein Film, ein Fast Food-Gericht, ein Strohhalm oder ein Buch, umsonst lässt sich nichts herstellen. Die Kosten werden dabei in fixe und variable Kosten unterteilt. Fixkosten fallen immer an und sind stets gleich. So sind die Stromkosten für die Beleuchtung einer Strohhalmfabrik fix. Ob da nun eine Milliarde Strohhalme oder nur ein Strohhalm produziert wird, die Stromkosten für die Beleuchtung fallen immer an. Den Fixkosten gegenüber stehen die variablen Kosten. Diese hängen von der Menge des hergestellten Gutes ab. Je mehr Strohhalme ein Unternehmen herstellen möchte, desto höher sind die Kosten für die Beschaffung der benötigten Rohstoffe.

Mediengüter wie Filme, Musik oder Videospiele bestehen aus Daten, die Materialien für die Speicherung dieser Daten sind bei der Herstellung nur nebensächlich und so besteht die Herstellung fast nur aus dem kreativen Prozess. Mit anderen Worten: Der Mammutanteil der Kosten sind Fixkosten. Die Kosten für die Designer, die Künstler, die Programmierer sind fix, ob der Code nur auf eine Blu-ray oder eine Million Blu-rays gepresst wird, spielt keine Rolle. Jedes Videospiel ist ein Unikat und somit unglaublich teuer. Die allererste fertige Kopie von GTA V z.B. kostete 266 Mio. US-Dollar. Erst mit der Vervielfältigung werden Mediengüter zu Massenprodukten und die Kosten pro produzierter Einheit sinken. In der BWL nennt sich das Stückkostendegression.

Obwohl jedes Spiel ein Unikat ist, muss das bei den einzelnen Bestandteilen aber nicht immer der Fall sein. Bestes Beispiel sind Expansion Packs oder Add-Ons. Hier für ein paar zusätzliche Missionen das komplette Spiel neu zu schreiben, wäre unsinnig. Auch wird nicht für jedes Spiel eine neue Engine, ungefähr der technische Rahmen, in dem das Spiel stattfindet, geschrieben. Manche Publisher setzen hier auf eine eigene Engine, wie z.B. EA mit Frostbite, andere Entwickler kaufen sich hingegen die Lizenz, um z.B. die neueste Unreal Engine kommerziell nutzen zu können. Für die Remasters ist der Umfang der zusätzlichen Arbeit je nach Projekt unterschiedlich, aber natürlich sind diese viel geringer als die Produktion eines komplett neuen Spiels. Das Aufhübschen von Bulletstorm Remastered kostet nur einen Bruchteil der theoretischen Kosten eines Bulletstorm 2. Aber so kommt der Name mal wieder in die Nachrichten, in die Läden und damit wieder in die Köpfe der Spieler. Bestenfalls ebnet man so den Weg zu Fortsetzung, schlimmstenfalls macht man damit weniger Geld als erhofft. Sicherer als ein komplett neues Projekt ist es allemal.

Limitierte Verwertungsstufen
Wenn das fertige Videospiel nach Jahren der Entwicklungszeit dann endlich erscheint, lässt sich schnell ein Phänomen erkennen. Der Preis sinkt. Faktoren wie der Gebrauchtmarkt (mehr zum Gebrauchtmarkt hier), Konkurrenz und limitierte Regal- und Lagerplätze spielen hier eine Rolle, die es teilweise so auch nur bei Videospielen und nicht bei anderen Mediengütern gibt. Grund hierfür ist der Preis, der zum Erscheinen meistens bei ungefähr 40 bis 60 Euro liegt aber auch bei der Natur des Gutes und den limitierten Verwertungsstufen. Klingt kompliziert, ist es aber nicht, wie man beim Beispiel Film schnell erkennen kann.
Ein Film erscheint zuerst nur im Kino (wobei es hier schon ein paar Experimente zum Verleih an Privatpersonen gibt, aber diese sind bisher wirklich nur Experimente). Einige Monate später erscheint der Film auf Blu-ray/DVD und kann damit frei von jedem Kunden gekauft oder von Verleihfirmen verliehen werden. Wiederum einige Monate später schlägt der Film in Streaming oder Video-on-Demand Services auf, danach auf Pay TV-Sendern, danach im Free TV, auf kostenlosen Mediatheken und ganz zum Schluss vielleicht noch als Dreingabe zu einer Zeitschrift oder Zeitung. Durch den Rechteverkauf verdient das Unternehmen an jeder dieser Stufe neues Geld.

Bei Videospielen ist der Spielraum begrenzter. Jeder kann das Gut sofort privat konsumieren, es kostet aber auch einiges mehr als ein Kinoticket. Trotzdem ist der Konsum auf die entsprechende Plattform beschränkt. Die Möglichkeit zum Verleih ist bei Blu-rays auch gegeben. Ein digitaler Games-on-Demand Service konnte sich bisher aus mehreren Gründen nicht etablieren, auf das “Netflix für Videospiele” warten wir immer noch. Die Datenmenge eines Films z.B. entspricht nur einem Bruchteil der Datenmenge eines Videospiels und es ist nur schwer vorstellbar, dass Sony bzw. Microsoft ihre eigenen Titel mittels eines solchen Services auf Hardware der Konkurrenz anbieten würden. Erste Schritte in diese Richtung gibt es aber schon. PlayStation Now, EA Access und NVIDIA GeForce Now versuchen mit jeweils eigenem Konzept einen Games-on-Demand Service umzusetzen, beim Vergleich mit einem etablierten Dienst wie Netflix hinkt die Industrie aber aber weit hinterher. Kostenlose Mediatheken oder das Äquivalent zu Free TV gibt es für Videospiele mit Ausnahmen wie das DOS Game Archive überhaupt nicht. Auch wenn sich die Güter Videospiele und Filme ähneln, in manchen Bereichen sind sie sehr unterschiedlich.

Neues Format, neues Produkt
Ab und zu kommt aber ein technischer Sprung vorbei, mit dem sich die Grenzen zwischen altem und neuem Gut leicht verwischen lassen. Die Filmindustrie freut sich immer wieder über diese Sprünge, denn wer möchte schon unscharfe SD-Filme auf dem neuen HD-Fernseher sehen? Warum sich mit DVD begnügen, wenn Blu-rays viel besser sind? Und wie sinnvoll nun der Film Independence Day 20 Jahre nach dessen Erscheinen in Ultra HD-Auflösung auch sein mag, Geld lässt sich damit trotzdem verdienen. Bei Videospielen waren diese technischen Sprünge stets mit dem Erscheinen neuer Konsolen gekennzeichnet und beim Sprung von SD auf HD besonders einleuchtend. Seitdem wird es auch hier immer schwieriger, die Daseinsberechtigung mancher Remaster in der besseren Qualität zu finden. Stattdessen legitimieren die Hersteller das erneute Befüllen der Regale mit alten Namen implizit über die Bequemlichkeit, Nostalgie oder einfach gähnende Leere im Releasekalender. “Erinnert ihr euch noch an Assassin’s Creed? Dieses Jahr kommt keines raus, dafür könnt ihr aber drei alte Spiele auf nur einer Disc kaufen”, argumentiert z.B. Ubisoft. “Erinnert ihr euch noch an Call of Duty: Modern Warfare? Dieses Jahr kommt ein neues Call of Duty raus, aber wir wissen ihr wollt eigentlich nur Modern Warfare in hübscherer Grafik. Könnt ihr haben, dafür müsst ihr aber die viel teurere Deluxe Edition kaufen”, argumentiert Activision. “Erinnert ihr euch noch an The Last of Us? Natürlich tut ihr das, es ist ja erst letztes Jahr erscheinen. Aber da ihr euch vor kurzer Zeit erst die neue PS4 geholt habt, wollt ihr es doch bestimmt nochmal mit etwas besserer Grafik spielen, oder?” argumentiert Sony.

Mit der neuen Vorwärtskompatibilität, also der Möglichkeit, z.B. PS4-Spiele auf der PS4 Pro spielen zu können, fällt diese klare Abgrenzung weg. Es bleibt abzusehen, wie die Publisher reagieren werden. Kostenpflichtige Updates wären sicherlich nicht allzu beliebt.

Die Digitalisierung ist auch ein technischer Sprung, den alle Publisher mittlerweile ausnutzen. Nintendo bietet im eShop individuelle Rabatte für besonders treue Kunden an und verkauft alte Spiele erneut über die Virtual Console, Sony und Microsoft zielen mit PS Plus bzw. Games with Gold auf Synergieeffekte, die ohne Digitalisierung nicht möglich wären. Sony streamt über PlayStation Now alte Spiele, Microsoft bietet Abwärtskompatibilität an. Auch hier geht es weniger um höhere Qualität und mehr um Bequemlichkeit und Nostalgie.

Was passiert, wenn die Qualität kaum noch eine Rolle mehr spielt, zeigt ein Blick auf die Musikindustrie. Seit der Digitalisierung scheint der Qualitätsbedarf erreicht zu sein. MP3 klingt gut genug. Viele Leute hören bessere Audioqualität einfach nicht oder es ist ihnen egal. Streamingdienste wie Spotify dominieren den Markt. Kaufargumente wie höhere Audioqualität beim Streamingkonkurrent TIDAL prallen am Mainstream einfach ab. Als Reaktion auf diese Sackgasse geht die Musikindustrie nicht etwas weiter nach vorne, sondern sie geht zurück. Die Schallplatte feiert ihre Renaissance.

Auch wenn Remasters keine Sternstunde der Kreativität darstellen, so erfüllen sie ihren Zweck und ergeben betriebswirtschaftlichen Sinn. Die Entwicklung von Videospielen kostet viel Geld, der größte Teil der Kosten ist fix. Es liegt im Interesse des Unternehmens diese einzelnen Unikate so oft zu verkaufen wie irgend möglich, um das nächste Unikat zu finanzieren. Der Rechtehandel ist im Vergleich zu Filmen und Musik beschränkt, erste Schritte wie EA Access und PlayStation Now zeigen aber, wo die Reise hingehen könnte. Remasters an sich sind weder gut noch schlecht. Je nach eigenem Interesse erfüllen sie entweder einen guten Zweck oder nicht. Die Kingdom Hearts-Remasters füllen eine 10 Jahre lange Pause zwischen dem zweiten und den dritten Teil der Hauptreihe, verleihen der Handlung mehr Kontext und sind jüngeren Spielern einfacher zugänglich, die vielleicht keine PS2 besaßen und im Jahr 2016 auch keine kaufen wollen. Andere Remasters hingegen sind wie Deadpool Remastered. Niemand braucht Deadpool Remastered. Also fast niemand. (kf)

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