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Ab wann sind Videospiele wirklich gut? Diese Frage haben wir uns nach den vielen, zum Teil gespaltenen Meinungen zu Death Stranding gestellt. Immerhin gab es Testwertungen, die von himmelhoch jauchzend bis zu Tode betrübt einfach alle Facetten abgebildet haben. (Wir lagen im Übrigen mit unserem Shock2-Review irgendwo dazwischen). Aber wie kann das sein?
Ist Death Stranding ein gutes Spiel?Quo vadis, Death Stranding?
Im Fall von Death Stranding dürfte die Antwort einfach zu geben sein: Hideo Kojima, der Game-Director und Metal Gear-Mastermind, polarisiert eben.
Bei Death Stranding beispielsweise war das Gameplay aus unserer Sicht nur Mittel zum Zweck. Er wollte seine verbindende, politische Message zum Ausdruck bringen und hierfür mussten nun mal Opfer gebracht werden. Immerhin sollte doch wirklich alles auf die Kernbotschaft zugeschnitten sein – Message-Control sozusagen.
Nun gut, aber ist Death Stranding nun ein gutes Spiel? Kann man das überhaupt sagen, wenn das Gameplay-System doch zumeist als eine Aneinanderreihung schnöder Fetch-Quests daherkommt? Hat sich da jemand nicht vielleicht doch ins „falsche“ Medium verirrt? Um diese Fragen beantworten zu können, sollte man zunächst ergründen, was denn ein „gutes“ Spiel überhaupt sein soll.
E.T. – oder eines der schlechtesten Spiele aller Zeiten
E.T. gilt als eines der schlechtesten Spiele aller ZeitenBevor wir jedoch zu den „guten“ Spielen kommen, beleuchten wir doch kurz eines der schlechtesten aller Zeiten. Die Rede ist natürlich von E.T. the Extra-Terrestrial, das Atari im Jahr 1982 auf den Markt brachte. Entwickelt wurde es von Howard Scott Warshaw innerhalb weniger Wochen, damit es noch rechtzeitig zum Weihnachtsgeschäft in den Handel kommen konnte. Ob der kurzen Entwicklungszeit zeugte es von minderer grafischer und spielerischer Qualität – es war schlicht noch nicht fertig.
Atari war jedoch aufgrund des kommerziellen Erfolgs des Kinofilms davon überzeugt, dass auch das Videospiel ein Hit werden würde und produzierte gleich vier Millionen Cartridges. Den Rest der Geschichte kennt wohl (fast) jeder Spiele-Enthusiast. Das Spiel wurde zum Ladenhüter und Atari entschied sich offenbar in einer Nacht und Nebel-Aktion dazu, etliche Exemplare des Spiels in der Wüste von New Mexico zu vergraben.
Preise und ihre Tücken …
Die Game Awards küren nun seit einigen Jahren die besten Videospiele des Jahres. Im letzten Jahr setzte sich beispielsweise God of War gegen Konkurrenten, wie Red Dead Redemption 2 oder Celeste durch. Diese Spiele können demnach wohl allesamt als „gute“ Videospiele bezeichnet werden – und doch sind sie sehr unterschiedlich.
God of War wurde als Spiel des Jahres 2018 ausgezeichnetGod of War und Red Dead Redemption 2 hatten jeweils mehrere Jahre Entwicklungszeit und etliche Millionen US-Dollar als Budget. Dem gegenüber steht Celeste, ein Indiespiel des sehr kleinen Entwicklers Matt Makes Games. Während GoW oder Red Dead 2 mit einer beinahe fotorealistischen Grafik bestechen, kommt Celeste in Pixelgrafik daher. Eines verbindet aber alle – sie erzählen eine interessante, zuweilen – im Fall von Celeste – tiefgründige Geschichte und besitzen ein ausgereiftes Gameplay-System sowie eine wunderschöne Grafik. Können diese Eigenschaften also für das Label „gutes Spiel“ herangezogen werden?
Es schadet zumindest nicht, wenn ein Spiel diese Kriterien erfüllt. Ausreißer, wie Heavy Rain oder The Walking Dead von Telltale Games führen dies jedoch erneut ad absurdum. Fühlt sich Heavy Rain doch ob des rudimentären Gameplays mehr, wie ein Film, denn Spiel an und besticht The Walking Dead nun mal wirklich nicht mit einer großartigen Grafik (oder einem tiefgründigem Gameplay). Und was ist mit Dark Souls? Viele Spieler der Souls-Games werden von der zugrundeliegenden Geschichte nichts mitbekommen, erzählen sich diese Spiele doch auf gänzlich anderen Ebenen. Und was ist mit Sportspielen á la FIFA oder Online-Games, wie Fortnite, League of Legends und Co.?
FIFA wird jährlich von Millionen Spielern weltweit gekauft und gespieltGanz zu schweigen von Mobile- oder VR-Games … Auch der Run auf gleich mehrere Tetris-Spiele im vergangenen Jahr deutet darauf hin, dass die Sache mit den „guten Spielen“ wohl komplexer ist.
Vielleicht könnte es damit zu tun haben, dass wir es hier nicht nur um Content oder einem schnöden Produkt zu tun haben. Vielmehr sind Videospiele wohl eine eigene Kunstform, was eine Entscheidung der deutschen USK im vergangenen Jahr wohl indirekt unterstrichen hat …
Tetris erfreut sich in etlichen Varianten großer BeliebtheitVideospiele als Kunstform
Über eine lange Zeit hinweg wurde dafür gekämpft, dass das Medium „Videospiele“ als Kunstform gesehen wird. Einen ersten, größeren Sieg gab es im vergangenen Jahr, als sich die deutsche USK (Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle) unerwartet dazu entschied, Videospiele künftig auf Paragraph 86a Abs. 3 StGB hin zu überprüfen.
Im deutschen Gesetz wird nämlich die Darstellung von verfassungsfeindlichen Symbolen, wie beispielsweise Nazi-Symbolik, untersagt – und das ist auch gut so.
Der oben genannte Paragraph gewährt aber eine sehr wichtige Ausnahme: die Kunstfreiheit. Das bedeutet, dass Filme oder TV-Serien verfassungsfeindliche Symbole, wie beispielsweise Hakenkreuze, verwenden können – unter der Voraussetzung, dass dies nicht in verherrlichender Art und Weise geschieht. Der Einsatz dieser Symbolik wäre dann sozialadäquat, weswegen der Paragraph auch als „Sozialadäquanzklausel“ bezeichnet wird.
Fortan können Spieler also in Anti-Faschismus-Spielen wie Wolfenstein gegen Nazis (in all ihrer Symbolik) kämpfen und nicht nur, wie zuvor, gegen das „Regime“. Erste Früchte trug dies bereits bei Wolfenstein: Youngblood – wenn auch nicht in idealer Ausprägung.
Dass diese Klausel nun auch endlich für Videospiele angewandt werden kann, ist also indirekt ein großer Sieg für alle, die Games als Kunstform betrachten – und wichtig für die zu Beginn gestellte Fragestellung.
Die Marvel-Debatte
Denn, ähnlich wie bei Filmen, Serien oder anderen Medien, die als Kunst-Produkt angesehen werden können, gilt wohl bei Spielen auch die Prämisse: Es liegt im Auge des Betrachters. Kunst ist subjektiv und wir sind nun mal alle verschieden – mit unterschiedlichen Prägungen, Interessen, Vorerfahrungen und so weiter.
Aus diesem Grund wird wohl jeder beispielsweise ein Gemälde oder einen Film unterschiedlich betrachten und anders bewerten – ein gutes Beispiel ist wohl das Raunen, dass der Starregisseur Martin Scorsese (The Wolf of Wall Street) kürzlich mit seiner Kritik an den Marvel-Filmen hervorgerufen hat.
Ich sehe mir sie [Anm. die Marvel-Filme] nicht an. Ich habe es zwar versucht, aber das ist kein Kino. Ehrlicherweise ähneln sie, obwohl sie gut gemacht sind und die Schauspieler ihr Bestes unter diesen Umständen geben, Freizeitparks. (Martin Scorsese)
Hiermit sprach Scorsese den Marvel-Filmen auch offen ihren künstlerischen Aspekt ab. Das ist aus unserer Sicht natürlich Blödsinn, gibt es doch so etwas, wie DIE Marvel-Filme gar nicht. Ja, es gibt eine grundlegende Formel, nach der diese Filme aufgebaut sind. Und ja, diese Filme (des Marvel Cinematic Universe) sind inhaltlich miteinander verbunden – trotzdem unterscheiden sie sich doch teilweise deutlich voneinander. Man vergleiche nur Captain America 2: The Winter Soldier mit Guardians of the Galaxy, Vol. 1.
Der Aufschrei des Mainstreams kam aber nicht nur, um das MCU zu verteidigen, sondern auch, um die Kunstfreiheit nicht zu gefährden. Einem Kunstwerk sollte schlichtweg nicht das Prädikat „Kunst“ abgesprochen werden dürfen – insbesondere nicht von so einem verdienstvollen Kunstschaffenden, wie Martin Scorsese. Das könnte doch sehr schnell gefährlich und zum Bumerang für andere Filme werden.
Bloodbourne ist unserer Meinung nach ein „gutes“ Spiel„Gute“ Spiele wollen gespielt werden
Wir lernen also, dass Videospiele offenbar eine eigene Kunstform darstellen und dass es viele unterschiedliche Arten von Spielen in mannigfaltiger Ausprägung gibt. Ab wann sind nun aber Videospiele wirklich „gut“?
Wir würden sagen, sobald man sie spielen möchte. Dabei ist sogar der Spaß in erster Linie nur Nebensache. Die unzähligen Tode, die wir beispielsweise in Bloodbourne gestorben sind, haben uns nämlich keine Freude bereitet. Wir wollten aber unbedingt weiterspielen und die Gegner und Bosse besiegen – und so ist es auch mit dem aktuellen Kojima-Titel Death Stranding. Es macht nicht immer Spaß, Pakete von A nach B zu transportieren. Nein, es ist vielmehr sogar anstrengend und zuweilen langweilig. Für uns bestand aber der Hook darin, immer weiter in der Story voranzukommen und uns auf die komische und absurde Handlung des Spiels einzulassen. Schließlich gibt es da sehr viel zu entdecken. Das ist aber Geschmacksache und jedem steht es natürlich frei, das Spiel im Regal liegen zu lassen.
Es gibt zum Glück noch eine große Auswahl an anderen Genres und Spielen, die nur darauf warten, endlich gespielt zu werden.