Kolumne: 3 unangenehme Wahrheiten über Mikrotransaktionen und Lootboxen

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Mittelerde: Schatten des Krieges, Assassin’s Creed Origins, die Einstellung des linearen Singleplayer-Star Wars-Spiels zugunsten von Service Games. Wie noch nie zuvor standen Mikrotransaktionen im Mittelpunkt und werden mit Titeln wie Call of Duty: World War II und Star Wars Battlefront II wieder in den Fokus geraten. Stellt sich die Frage, wie man mit ihnen umgehen soll. Möchte man manchen Meinungen im Internet vertrauen, könnte die Industrie kurz vor dem Platzen einer riesigen Blase stehen, andere wollen den modernen Videospielen komplett absagen und sich von nun an nur noch auf Retro konzentrieren. Beide Sichtweisen sind Extreme und rufen eine Untergangsstimmung herbei, die unnötig ist.

Bei der Diskussion um Mikrotransaktionen gibt es drei Fakten, die über allen anderen Argumenten und Gefühlen stehen. Diese Fakten kann niemand wegreden und wir müssen uns mit diesen auseinandersetzen.

Fakt 1: Mikrotransaktionen sind legal

Im Scheinwerferlicht der aktuellen Diskussion stehen insbesondere die Lootboxen. Das sind virtuelle Boxen mit Ausrüstung oder Waffen, die blind gekauft werden. Was in einer Box drin steckt, weiß man nicht. Basierend auf für die Konsumenten in den meisten Fällen komplett geheime Wahrscheinlichkeitsraten, könnte sich in einer Box ein legendärer Gegenstand befinden. Dieses Zufallselement fühlt sich für viele wie Glücksspiel an. So gibt es Initiativen, Lootboxen als Glücksspiel zu deklarieren und den Verkauf an Minderjährige zu verbieten. Dieses Unterfangen wird scheitern. Glücksspiel ist ein klar definierter Begriff und stark reguliert. Lootboxen in ihrer aktuellen Form passen nicht in diese Definition. Im richtigen Glücksspiel können Spieler alles verlieren, beim Kauf von Lootboxen ist dies nicht der Fall. Man erhält vielleicht nicht den gewünschten Gegenstand, trotzdem erhält man etwas für sein Geld. Das mag ernüchternd für viele klingen, aber dieses Prinzip ist auch nicht neu. Sammelkartenspiele wie Pokémon und Magic: The Gathering gibt es auch schon seit Jahrzehnten. Dieses Geschäftsmodell ist legal.

Was sich hier verbessern müsste, ist die Transparenz. China ist diesbezüglich Pionier und hat ein Gesetz erlassen, das Unternehmen vorschreibt, ihre Wahrscheinlichkeitsraten für Lootboxen offenzulegen. Klingt gut und richtig, wurde von der Industrie aber sofort umgangen. Blizzard verkauft in China seit dem Inkrafttreten des Gesetzes keine Lootboxen mehr in Overwatch. Stattdessen müssen Spieler nun In-Game-Währung kaufen, mit der sie Lootboxen “umsonst” erhalten. Dieses Beispiel zeigt, dass selbst wenn der Staat sich involvieren sollte, die Unternehmen sofort nach legalen Schlupflöchern suchen werden. Was allerdings nicht heißen sollte, dass die Politik sich überhaupt nicht mit dem Thema befassen sollte. Allerdings gibt es im Themenbereich der digitalen Wirtschaft wichtigere Themen als Mikrotransaktionen in Videospielen. Selbstregulierung der Industrie wäre vielleicht eine Option, aber diese wirkt aktuell noch in weiter Ferne.

Mikrotransaktionen Mittelerde Schatten des Krieges

Fakt 2: Videospielunternehmen sind gewinnorientiert

Viele verbinden besondere Emotionen mit Videospielen. Seien dies Erinnerungen an die unbeschwerte Kindheit, das Weihnachten, an dem man einen Game Boy geschenkt bekam oder einfach gemütliche Sommerferien mit Freunden vor dem Fernseher. Für viele sind Videospiele das wichtigste Hobby. Die E3-Pressekonferenzen werden nachts um drei Uhr live angeschaut, auf Foren wird stets über die neuesten Releases diskutiert und Videospielpodcasts gehören zum täglichen Weg zur Arbeit oder Schule. Videospiele sind Kunst, sind es wert besprochen zu werden und haben sich fest in der Medienlandschaft neben Filmen, Musik und Büchern etabliert. Videospiele sind aber auch ein Geschäft. Mehr noch; ohne das Geschäft als Fundament, gäbe es Videospiele in ihrer heutigen Form gar nicht.

Es gibt mehr Spiele, mehr Spieler, Zugang zur Technologie zur Entwicklung von Videospielen war noch nie günstiger, die Möglichkeiten zum Vertrieb und zur Monetarisierung waren noch nie so vielfältig. Videospiele werden immer besser, umfangreicher und technisch immer ausgereifter. Das liegt vor allem an den Unternehmen, die viel Geld in den Markt stecken in der Hoffnung, dass sich ihre Investitionen auch bezahlt machen. Diese Unternehmen optimieren ständig ihre Monetarisierung und suchen stets nach neuen Wegen, mehr Geld zu machen. Das ist nicht gierig. Gewinnorientierte Unternehmen existieren nun mal, um Wert zu schaffen. Für Spieler kann dieser Wert gute Spiele sein, für die Aktionäre geht es aber darum, dass sich ihre Investition bezahlt macht.

Für ein Unternehmen sind diese verschiedenen Beziehungen mit den unterschiedlichsten Interessengruppen nicht einfach. Auf der einen Seite die Stakeholder wie die Konsumenten, die gute Qualität zu fairen Preisen fordert. Auf der anderen Seite die Shareholder, die immer mehr Wert fordern. Hier einen plötzlichen Umschwung der Aktionäre zu erwarten, wäre unrealistisch.

Mikrotransaktionen Assassin's Creed Origins

Fakt 3: Mikrotransaktionen funktionieren

Der wichtigste Fakt von allen. Mikrotransaktionen funktionieren einfach. Es gibt nun mal die Spieler, die hunderte wenn nicht tausende Euro für Lootboxen, Kartenpakete oder Boosts in Spielen ausgeben. Dieses potenzielle Geld ist im Markt und es wäre für ein gewinnorientiertes Unternehmen zweckfremd nicht zu versuchen, dieses Geld für sich zu beanspruchen. Das funktioniert mit Psychotricks, mit immer präziserer Datenanalyse, mit immer aggressiveren Mitteln. Man kann nach dem Warum fragen. Warum bezahlen manche Spieler diese Unsummen für virtuelle Güter? Warum sich überhaupt Spiele kaufen, wenn man Teile von ihnen mit Boosts und Mikrotransaktionen überspringt? Das sind verständliche Fragen, zu denen es aber keine Antworten gibt. Unterschiedliche Konsumenten haben unterschiedliche Budgets und unterschiedlich viel Zeit für Videospiele. Manche wollen 50 Stunden mit dem Nemesis-System in Mittelerde: Schatten des Krieges verbringen. Andere wollen stattdessen das neue Herr der Ringe-Spiel spielen, das sie in der Werbung gesehen haben, ohne frustriert zu werden oder zu viel Zeit investieren zu müssen. Hier konsumieren zwei unterschiedliche Gruppen an Konsumenten ein und dasselbe Gut. Beide Gruppen zufriedenzustellen, ist nur schwer bis kaum möglich.

Die Ironie am Erfolg von Mikrotransaktionen: Nur der kleinste Teil der Spielerschaft macht sie so erfolgreich. Auf dem Free-2-Play-Mobile-Markt (F2P) sind das nur 5 Prozent aller Spieler und doch richtet sich der gesamte Markt auf diese 5 Prozent. Kostenpflichtige Premium-Apps sind nur noch eine Nische und selbst der berühmteste Klempner der Welt war nicht mal ansatzweise so erfolgreich wie die großen F2P-Spiele. Nun ist es also wieder dieser kleine Anteil an Spielern, der die Industrie für alle verändert. Das ist wohl auch ein zentraler Punkt der Frustration vieler Spieler: es ist die Ohnmacht. Eine kleine Gruppe an Konsumenten hat in einem relativ kleinen Zeitraum eine gesamte Industrie verändert, die es schon seit Jahrzehnten gibt. Es werden gefühlte Prinzipien (wie Vollpreisspiele ohne Mikrotransaktionen) über Bord geworfen, um dem vielen Geld dieser kleinen Gruppe hinterherzujagen. Das mag sich vielleicht nicht gut anfühlen, aber es ist die logische Konsequenz des Marktes.

Mikrotransaktionen Overwatch

Der richtige Umgang

Mikrotransaktionen sind legal, Videospielunternehmen sind gewinnorientiert, Mikrotransaktionen funktionieren. An diesen drei Fakten können Konsumenten nicht viel ändern. Stattdessen hängt alles von der Gruppe an Spielern ab, die Unmengen an Geld für Mikrotransaktionen ausgeben. Niemand kann dieser Gruppe vorschreiben, was sie mit ihrem Geld anstellen sollten und was nicht. Sollten diese plötzlich mit dem Geldausgeben aufhören, wird eine Schockwelle durch die Industrie hindurch jagen. Projekte werden eingestellt, Unternehmen werden sich verabschieden und viele Menschen werden entlassen. Das Fundament für die aktuelle Goldgräberstimmung ist kein stabiles, aber es funktioniert.

Aber wie mit den Mikrotransaktionen im Endeffekt umgehen? Falls man die Kontrolle über seine Ausgaben verloren hat und sich in einem Teufelskreis befindet, sollte man professionelle Hilfe suchen. Neben Entwicklern arbeiten mittlerweile auch Psychologen an Spielen mit, um eben zum Kauf von immer mehr Mikrotransaktionen zu motivieren. Alle anderen sollten einen kühlen Kopf bewahren. Generell, und das gilt beim Erwerb eines jeden Gutes, sollten Konsumenten alle Informationen vor dem Erwerb besitzen. Blinde Vorbestellungen sind hier weniger hilfreich. Sind Mikrotransaktionen wirklich notwendig? Wird meine Erfahrung mit dem Spiel ohne den Kauf Mikrotransaktionen verschlechtert? Ehrliche Antworten auf diese Fragen kommen nicht vom Marketing der Publisher, sondern von Reviews und Erfahrungsberichten anderer Spieler. So muss man sich Fall für Fall entscheiden, welche Implementierung von Mikrotransaktionen noch in Ordnung für einen selbst ist, und welche nicht.

Teilweise herrscht Untergangsstimmung, für die es aber keinen Grund gibt. Die Industrie befindet sich in einem Umbruch und das geschäftliche Fundament steht im Mittelpunkt. Sollten sich die großen Publisher nur noch auf riesige Service Games mit Lootboxen konzentrieren, werden sie eine Lücke hinterlassen, die andere Unternehmen füllen werden. Man muss die aktuelle Entwicklung der Industrie nicht gutheißen und es steht jedem frei, Spiele mit Lootboxen kategorisch abzulehnen und nicht zu kaufen. Mein Tipp wäre es jedoch, differenzierter an die Sache ranzugehen. Die Fakten zu akzeptieren, für sein persönliches Zeit- und Geldbudget abzuwägen und Fall für Fall eine Entscheidung zu treffen.

4 „Gefällt mir“

Danke an @Konstantinos für eine weitere tolle Kolumne, war mir wie schon so oft ein großes Lesevergnügen!

Wie immer sehr interessant, aber könnte man vielleicht Konstantinos Kolumnen Seite (KonFot - Die SHOCK2 Kolumne - SHOCK2) direkt als Unterpunkt bei der Rubrik Specials einfügen, in der sich auch “Spiele die ich vermisse”, “200 Games, die du gespielt haben musst” & Co befinden?

Ist geplant genauso wie der Sendeplan und einiges mehr. Vor der Tür steht eine komplett neue SHOCK2 Seite die deutlich mehr Übersicht über die einzelnen Angeboten bringen soll.

Vielen Dank für die schnelle Antwort, die Vorfreude auf die neue Seite wächst damit doch gleich noch mehr :grin:

Eigentlich will ich mich mit diesen “Wahrheiten” nicht auseinandersetzen, sondern nur in Ruhe spielen können ohne das mir ständig jemand ins Ohr flüstert “Aber du könntest doch Lootboxen kaufen”.

4 Milliarden

Holy Gucamole. 4 Milliarden? Wahnsinn! Logisch stürzen sich die ganzen Unternehmungen darauf.

Zu Activision Blizzard gehört viel dazu, daher ist die Zahl zwar verwunderlich, aber für mich auch verständlich.